Popland im Retromodus

25 Jahre mica: Popland im Retromodus. Eine Festrede von Markus Binder

4. Juli 2019

25 Jahre mica. Die Gründung von MICA – MUSIC AUSTRIA als professioneller Partner österreichischer Musikschaffender jährt sich dieses Jahr zum 25. Mal. 1994 auf Initiative der Republik Österreich gegründet, macht das Musikinformationszentrum nun ein Vierteljahrhundert auf aktuelle Musik aus Österreich aufmerksam und unterstützt Musikschaffende in allen wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen. Letzte Woche wurde das Jubiläum zu 25 Jahre mica mit KollegInnen und WegbegleiterInnen gefeiert und auch Festreden waren zu hören. Eine davon kam von Musiker und Autor MARKUS BINDER.


Liebe Aufmerksame!

Wenn sich die Frage stellt, was in den letzten 25 Jahren in der österreichischen Musikszene Interessantes passiert ist und sofern ich nicht, was leicht passieren kann, etwas Wichtiges vergessen habe, wofür mir bitte verziehen werden möge, dann fällt mir ein, dass das Bemerkenswerteste, Beeindruckendste und auch im Hinblick auf die Gesamtsituation Wesentlichste der Umstand ist, dass endlich Gustav und Soap and Skin aufgetaucht sind. So unterschiedlich diese beiden Musikerinnen und Produzentinnen auch sind, beide haben mit ihren Songs einen Raum erzeugt, betreten und bespielt, der vorher nicht wirklich existiert hat hier, einen Raum, in dem feministisches Bewusstsein eine Selbstverständlichkeit ist, in dem endlich ein anderer Sound den Ton angibt als in den endlos langen Jahrzehnten Popmusik, in denen es, bis auf wenige Ausnahmen, üblich war, dass männliche Stimmen sich erhoben und sich Gehör verschafft haben. Und das ist eigentlich nicht mehr auszuhalten, dass sich dauernd dieses Bubenlulu über uns ergießt, es geht mir schon so auf die Nerven, ich ertrinke selbst schon drin. Längst überfällig, dass eine von weiblichen Stimmen und Sounds geprägte Kunst übernimmt, ich sage nur Mavi Phoenix, Yasmo, Fiva, Mira Lou Kovacs und so weiter und so fort und Kate Tempest. Wir kennen das Problem der Dominanz des männlichen Blickes in der Kunst, die männlich geprägte Rhetorik in der Wirtschaft und in der Politik und auch in der Musikszene sind nach wie vor quasi gewohnheitsmäßig männliche Gschaftlhuber die Meinungs- und Stimmungsmacher. Wenn sich das mal ändern könnte, wenn sich der männliche Feudalismus mal verdünnisieren würde, schön wärs.
Wenn ich an die vergangenen 25 Jahre österreichische Musikszene denke, fällt mir aber auch eine völlig andere Geschichte ein, die einschneidend und leider sehr traurig gewesen ist, nämlich der Tod unseres Freundes, des Musikmanagers Christoph Moser, der im Dezember 2008 im Alter von 46 Jahren gestorben ist, den ich seit Beginn der 80er Jahre kannte und der einen Spirit in dieser österreichischen Musikszene verkörperte, eine antikommerzielle, rebellische Attitüde, die der österreichischen Musikszene leider zunehmend abhanden kommt. Der Businessgedanke hingegen nimmt immer mehr überhand, genauso wie die Security-Typen. Braucht keiner. Auch Huckey brauchte die nicht, unser Linzer Spezi, bekannt als Mitglied der Linzer Hip-Hop-Crew Texta, der voriges Jahr im Alter von 51 Jahren gestorben ist. Sollte die Gefahr bestehen, dass hier im Hintergrund so etwas wie eine 80er Nostalgie aufkommt, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich dauernd Leute treffe, die noch keine 30 sind und denen dieser ganze Business-Security-Quatsch auch schon lange keinen Spaß mehr macht.
Als das Mica vor 25 Jahren gegründet wurde, da war gerade noch die letzte große Neuigkeit des Popgeschäfts im Gang, nämlich Techno, oder halt alles Mögliche, was unter elektronischer Dance Musik verstanden werden kann, aber der für mich sehr wohltuende Aspekt der Entpersonalisierung war damals schon, also sagen wir mal so: Musik könnte aus meiner Sicht auch ohne das ganze Startum auskommen, ich persönlich kenne ja gar keine musikmachenden Leute, mit denen ich mich zu identifizieren wünsche, vielleicht damals als ich 12 war, wollte ich irgendwer sein, der reich und berühmt ist, mittlerweile tu ich mir schon schwer, mich mit mir selbst identifizieren zu wollen, kenne ich alles schon viel zu gut, aber sorry, also damals, vor 25 Jahren gabs mit Techno die letzte Neuigkeit und spätestens seit damals befindet sich Popland im Retromodus, aber nicht nur Popland, sondern auch Realland, die zeitgenössische Gesellschaft ist eine am Stand durchdrehende Businessbüffelherde, nebenbei wird der Planet ruiniert, und auch seine Bewohner leiden zunehmend unter Burnout und der Retromodus wird musikalisch auch in Österreich natürlich nachhaltig nachwachsend gepflegt, repräsentiert von den erfolgreichsten ihrer Art, ich meine Wanda und die anderen, die ein mit fetten Konventionen gesättigtes Denken auf Lager haben, ein Traum, Planet Austria gerettet.
Über die vom roten Bullen produzierte Fast-and-extreme, Happy-Pepi, Glorifiziere-die-Heimat-Energydrinkjauche, die über das arme kleine Land ausgeschüttet wird, wollen wir uns hier nicht weiter verbreiten, weil diese süßlich penetrante Aufdringlichkeit sich selbst wichtiger macht als es auszuhalten ist. Ich möchte sämtlichen Musikszenen deutlich empfehlen, sich vom roten Bullen fernzuhalten, aggressiver Patriotismus ist das Ende, oder will sich hier wirklich jemand zum Labelkollegen desjenigen mit dem kleinkarierten rotweißroten Tüchlein am Bizeps machen?
Zu guter Letzt sei noch allen vom Mica für die Sichtbarmachung von so vielen österreichischen Bands auf der internationalen Landkarte gedankt und damit für den Umstand, dass sich diese Bands als Teil einer überregionalen Szene verstehen können. Auch wir wurden vom Mica immer wieder und bis jetzt auf optimale Weise unterstützt. Sie haben uns um die halbe Welt geschickt und uns damit die Gelegenheit verschafft, zu zeigen, dass Attwenger im Grunde eine internationalistische Band ist, oder eigentlich postnational beziehungsweise subnational beziehungsweise subrational. Für dies alles und für alles, was vom Mica gemacht wurde und gemacht werden wird, sei dem Mica und allen, die sich für diese wunderbare Initiative engagieren, unaufhörlich gedankt. Weiterhin alles Gute. Auf Wiedersehen.