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Nächste Abfahrt autoritär
veröffentlicht in der Tageszeitung DER STANDARD, 17.8.2024
Lustig, wie das Publikum sich wundert, dass jetzt allerorten die ganz Rechten an die Macht kommen werden sollen, mich überrascht es gar nicht, konnte doch Jörg Haider in den Achtzigern schon fix damit rechnen, dass seine paranoiden Parolen in diesem Land auf fruchtbaren Boden fallen werden. Austria war, was Neofaschistinnen in der Regierung betrifft, europaweit first. Inzwischen hat dieser Quatsch ja auch anderswo seine Mehrheiten gefunden. Die Einheimischen aller Länder vereinigen sich, wählen demokratisch autokratisch, es wird wieder jenseitig, es werden wieder Leute gewählt, denen übersinnliche Kräfte zugesprochen werden! Wunderheiler! Empfehlen als Medizin gegen das Coronavirus Pferdeentwurmungsmittel zu schlucken bzw. Desinfektionsmittel zu spritzen. So verwirrt!! Die Bevölkerung erwartet sich Höhenflüge, hängt aber politischen Tieffliegern das Prädikat charismatisch um und dabei hat doch z.b. der Trump („Orange Jesus“) kein größeres Charisma als eine Perücke.
a boa san foisch obong
die mehrheit is eana noch
die mehrheit die Mehrheit
die nervt mi wieder sehr heid
Für die Aufrechterhaltung und Lebendigkeit der Demokratie muss ständig etwas getan und kreativ gearbeitet werden, der Faschismus kommt von alleine. Zeitgeistmäßig sieht es ungefähr so aus: in Richtung vorne ist jetzt abgesperrt, sämtliche Vorstellungen betreffend Kooperation, Solidarität und Umverteilung wurden abgesagt und ökonomische Sattheit bedeutet: jetzt wird nicht mehr aufgebaut, aufbauen ist jetzt fertig, ab jetzt wird abgesichert und was Utopien und Visionen zur Verbesserung der Verhältnisse betrifft, wird abgebaut, mental und fundamental. Zur Absicherung des Erreichten werden uniformierte Sicherheitskräfte herbeibestellt, im Hintergrund läuft Operettenmusik vom Bodensee (tief) bis zum Neusiedlersee (seicht). Nichts gegen die Schönheiten von Musik, Natur und Freizeit, aber alles gegen die Verherrlichung des Eigenen, denn die bringt nur Unglück über die Einheimischen und vor allem diejenigen, die sich nicht zu ihnen zählen können. Die Toleranz reicht nur so weit wir sie uns leisten können und jetzt können wir sie uns nicht mehr leisten, jetzt, wo nur mehr gekauft wird, was wirklich niemand mehr braucht. Übrigens: haben Sie schon ihr Black-Out-Kit? Politische Finsternis droht, Pollution is the Solution, die Überschwemmungen nehmen zu, der Dreck steht uns bis zum Hals. Außerdem: kein Wunder, dass sich der Mainstream gegenüber dem Faschistischen so tolerant zeigt, wo doch Antifaschismus nach wie vor als obskure Eigenschaft einer dubiosen Minderheit betrachtet wird.
Antifaschistische Gesinnung tritt hierzulande vorwiegend in einer volkstümlichen Version auf, die sich darin erschöpft, gegen die FPÖ zu sein, sich aber wenig mit den historischen Zusammenhängen und den sich permanent wandelnden Ausformungen der immergleichen Bausteine von Faschismus beschäftigt (Traditionskult, Antimodernismus, Antipazifismus [„Das Leben ist ein dauernder Kampf“], Abwesenheit von Selbstkritik, Verachtung alles „Schwachen“, Ressentiments gegen alles „Fremde“, Verehrung von Männlichkeit und Heldentum u.s.w.), der allerorten mit einer raffiniert sich erneuernden Sprache und Symbolik (war nicht der Begriff „alternativ“, den die AFD sich angeeignet hat, bis dahin im linken Spektrum gebräuchlich?) in allen möglichen Parteien, Medien und im Internet (früher Stammtisch, heute Echoraum) herumtrampelt, um sein boshaftes Geschäft zu verrichten. Aber wie hätte sich im walzerseligen Österreich Antifaschismus nachhaltig entwickeln sollen, wenn schon der bis zur Bewusstlosigkeit vergötzte Kanzler Kreisky sechs ehemalige Nationalsozialisten zu Ministern ernannt hat (Entnazifizierung österreichisch!!), worüber sich schon in den 1970ern kaum jemand aufgeregt hat außer Simon Wiesenthal.
@ Ressentiments, kleines Beispiel: in Österreich wird in jedem größeren Medium jeder englischsprachige Piepser und erst recht jeder längere Satz sofort mit deutscher Übersetzung zugemüllt (gern mit leichter bis schwerer Verzerrung der Aussage). Dasselbe wird übrigens auch in anderen Ländern Europas mit faschistischer Vergangenheit praktiziert (d, i, es). Dass mittlerweile Englisch auch hierzulande längst eine zweite Alltagssprache geworden ist, haben bislang anscheinend genau diejenigen übersehen, die über die Sprachregelung der öffentlichen Medien zu entscheiden haben. Auch ein Mittel, to make Small-Mindedness great again.
Volk von Europa! Deine Aufmischung hat sich aufgehört, dein Fortschritt wird nicht mehr fortgesetzt, dein Reichtum wird nicht gerecht verteilt (wurde er sowieso noch nie). Deine Kinder sollen in Angst und Wohlstand leben. Dass es so kommen wird, haben wir zwar kommen sehen, haben aber nichts dagegen unternehmen können, weil die Initiativen für eine friedliche, freundliche und kooperative Politik laufend boykottiert wurden und ihre Traditionen deshalb so schwach ausgeprägt sind, dass sämtliche Versuche, eine friedliche, freundliche und kooperative Politik umzusetzen, erschwert bis verunmöglicht werden. Zugleich häufen sich die Profite einseitig zu großen Stapeln auf Seiten der Profiteurinnen und Steuerhinterzieherinnen, auf Seiten von Verständigung, Kooperation und Solidarität stapeln sich nur die Almosen, die die Spekulantinnen in ihrer fadenscheinigen Großzügigkeit zu geben bereit waren (Socialwashing). Und die Wirtschaft wiederholt seit Beginn der Industrialisierung dasselbe einfallslose Argument: die Arbeitsplätze! Der soziale Friede! Und sei es auf Kosten von allen! Egal! Aber jetzt haben wir den Schlamassel: aus Engstirnigkeit folgt Rustikalpolitik, aus geistiger Arbeitslosigkeit folgt öffentliche Ideenlosigkeit, aus ökonomischer, militärisch aufgerüsteter Stärke werden weitere Kriege folgen (gern auch auf entlegene Schauplätze verlagert).
proleten und proletinnen
jeglichn geschlechts
fria hobz die linkn gwöd
und jetzt do wöz ihr rechts
fria internationale solidarität
und jetzt wird nur mehr
gredt bled
von da identität
Und die Politik dackelt nach wie vor gehorsam an der Seite der Wirtschaft dahin, dabei wäre es doch der Job der Politik, faire Bedingungen für ein solidarisches und entspanntes Zusammenleben für alle zu schaffen. Wurde eigentlich jemals demokratisch eine der Konzernspitzen gewählt, die in der demokratischen freien Marktwirtschaft über die Lebensbedingungen von Milliarden Arbeitskräften entscheiden? Und die Leute, die die Steuern steuern, sind mittlerweile zum Großteil der allgemeinen Phantasielosigkeit verfallen (die Sachzwänge!) und beschäftigen sich hauptsächlich mit Eigenmarketing, in das genauso viel investiert wird wie in all die anderen Produkte, die es gerade im Angebot gibt, was aber jetzt auch nichts mehr bringt, weil, ups, die Mehrheit bekommen jetzt die ganz Rechten (bis sie sich selbst wieder umhacken, wie gehabt, das Sich-gegenseitig-Umhacken liegt ihnen ja bekanntlich im Gemüt). Und weithin werden wir das Wehklagen hören können. Oh nein!! Jetzt haben wir uns schon wieder komplett verlaufen!! Wie konnte denn das nur schon wieder geschehen? Nicht schon wieder! Nicht schon wieder!!
Parallel dazu wiederholt sich das jämmerliche Phänomen, dass sich österreichische Großkopferte in Deutschland in höchste Höhen hochspekulieren, Fotos mit der jeweiligen Regierungsspitze inklusive, und dann stellt sich heraus, dass die österreichischen Hochstapler nichts anderes produziert haben als milliardenschwere Seifenblasen und die sind geplatzt (Wirecard, Signa), dass es nur so kracht. Und die Arbeitsplätze? Der soziale Friede? Was ist damit? Und da stehen sie beim Regierungsempfang herum und beteuern großes Interesse aneinander, wo doch schon aus großer Entfernung erkennbar ist, dass hier wieder mal das alte Match Milliardäre vs. Staat gespielt wird, das zum wiederholten Mal zugunsten der Milliardäre ausgegangen ist (sich gnadenlos bereichern, kaum Steuern zahlen, auf soziale Verantwortung pfeifen), und wenn die Milliardäre eine Bruchlandung hinlegen und Milliardendefizite verursachen, kommt es zu der sich wiederholenden Kuriosität, dass der Staat die entstandenen Milliardenschulden untertänigst wieder ausgleicht (anstatt rechtzeitig das Zustandekommen derartiger Vorkommnisse zu verhindern). Als wäre die Wirtschaft eine nicht zähmbare, zu rücksichtslosen Exzessen neigende Bestie und der gutmütige alte Staat wird schon, wie damals nach den Bankenpleiten im Jahr 2008, für die vom ungezogenen freien Marktwirtschaftsrüpel verursachten Milliardenschäden aufkommen. Warum die Allgemeinheit nach wie vor so viel Verständnis und Support für eine derart rücksichtslos agierende Gangsterin wie die freie Marktwirtschaft aufbringt, bleibt nachhaltig unverständlich.
Der Mainstream macht, was er will. Der Mainstream ist ein reißender Fluss, der seine Richtung radikaler ändern kann als wir selbst es je zustande brächten und wenn wir auch nie zweimal in denselben Stream schauen, wird es, wenn das Hochwasser kommt, zum wiederholten Mal heißen: wir hätten vielleicht doch nicht so viel versiegeln sollen wie die Wirtschaft verlangt hat. Die Politik hat wieder mal nur mitgemacht beim Versiegeln, auch mentalitätsmäßig, hehe. Blöderweise sind wir konfrontiert mit einer Ignorantinnengesellschaft (Welche Klimakrise?), in der die irgendwann in Betrieb gesetzten Maschinen weiterlaufen, als wäre der Planet noch immer nicht kaputt. Die Voraussetzung für einen Climate Change ist ein Sustainable System, das unverzüglich realisiert werden muss, wenn wir nicht in absehbarer Zeit weggespült bzw. gegrillt werden wollen. Des Volkes souveränes Naturell will sich aber nicht einschränken lassen wegen sowas. (Rücksichtslosigkeit sich selbst gegenüber: läuft!)
Wieso aber heißt Demokratie in der Krise eigentlich: nächste Abfahrt autoritär? Wieso ist das Autoritäre so beliebt und bietet sich gleich mal an, wenn die Situation krisenhaft ist (ist sie das nicht immer, irgendwie)? Erwartet ängstliches Denken hier instant Sicherheit? Stehen wir an der Schwelle zum Autodromzeitalter (bei schlechter, lauter Musik in andere reinkrachen, ohne selbst Schaden zu nehmen)? Oder rücken die Verängstigten deshalb nach rechts, weil sie dort eine zwar langweilige, autoritäre, strenge, trostlose Zukunft erwartet, aber dafür: ja was eigentlich? Beheizte Bierzelte?
Im Gegensatz zur Kunst (oder dort auch?) werden in Politik und Gesellschaft veraltete Ideen und Styles wieder wichtig und hegemonial. Warum das? Das Abwehrende und Feindschaftliche sind Bestandteile einer Gesellschaft, in der es dauernd ums Bessersein, um das Streben nach Überlegenheit geht (auch wenn diese Überlegenheit nur eine behauptete ist). Die größte Angst derer, die sich (die eingebildete) Überlegenheit angeeignet haben: dass ihnen diese wieder weggenommen wird. Damit das nicht passieren kann, werden rigorose Verteidigungs- und Abwehrmaßnahmen ergriffen. Dazu gehört anscheinend, Parteien zu wählen, die im Museum schon längst als gestrig und gescheitert eingemottet worden waren.
es waa jo ned schwer
und es brauchad nur wer
a weng autoritär oder so
jetzt schbeama des dial zua
wei sunst is nie a rua
olles nemans uns weg
Einfach nur peinlich am neuen (veralteten), nach rechts abrutschenden Mainstream ist der Umstand, dass soziale Verantwortlichkeit mit Selbstverherrlichung (Hoch die Heimat!), Ausschluss all dessen, was unter dem Lieblingsfeindbegriff „fremd“ subsumiert wird und unappetitlichen bis naziesken Äußerungen daherkommt, anstatt eine frische, solidarische, gemeinschaftliche, ökonomisch faire und kooperative Zukunft anzugehen. Wie soll es zu einer sinnvollen Weiterentwicklung kommen, wenn sich politische Entscheidungen weiterhin am Konkurrenzgockeltum (Alle Achttausender in zwölf Minuten!!) und ähnlichem Unfug orientieren? Unter dem Motto „I am first“ treffen sich Selbstermächtigung, Ängstlichkeit und Kleingeisterei. Im egozentrischen Streben nach dem eigenen (Vorteil) treffen sich Milliardäre und die sich abgehängt fühlende Arbeiterschaft. Warum ich? Warum bin gerade immer ich benachteiligt? Immer nur ich! Wäre es nicht schön, das ermüdende Konkurrenzgerangel loszuwerden und damit das Gefühl der Benachteiligung dessen, was „Ich“ genannt wird? Wäre nur nicht alles so durchsetzt vom Sich-durchsetzen. Die Zustände könnten so schön unextrem sein.
Klar ist auch, dass bei Übernahme durch die ganz Rechten die Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter wieder zurückgedreht werden würden. Nachdem im (offiziell zwar säkularen, in echt aber weiterhin) oldstyle-patriarchal-katholischen Österreich Frauen (lenken Kinderwägen, Männer Autos) nach wie vor traditionell und strukturell benachteiligt werden, bedeutet das zwar nichts Gutes für die Zukunft des feministischen Sozialismus (Kapitalismus ist ja doch eher eine Männerkrankheit), genauso klar ist aber auch: der Niedergang der maskulinen Gewaltherrschaft wird auch von den rechtesten Recken nicht mehr aufzuhalten sein.
Solange die Devise für die gesellschaftliche Vorwärtsbewegung Hausverstand heißt, kann es nur rückwärts gehen, denn der Hausverstand (in Deutschland: gesunder Menschenverstand) ist nichts anderes als die Summe aller Vorurteile, die sich im Lauf der Zeit in der Staatsbürgerin angesammelt haben und auf die dann instinktiv (auch das noch!) zurückgegriffen wird, wenns drauf ankommt. Und nachdem es jetzt drauf ankommt, wird es auch nicht weitergehen. Der Fortschritt geht retour. Und die immer um ein freundliches Lächeln sich bemühende österreichische GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haltung) wird, wies ausschaut, (wieder einmal) ein blamables Wahlergebnis zustande bringen. Hat es nicht einst geheißen: Österreich ist frei? Bald könnte es heißen: Österreich ist freiheitlich! Das wäre dann doch die ärgere Blamage!! Oder einfach nur normal?? Im Gleichschritt mit dem Hausverstand marschiert der Begriff normal, das Codewort dafür, die persönlichen Unzulänglichkeiten zu verallgemeinern, die eigene Beschränktheit auf alles andere anzuwenden, die individuellen Gewohnheiten für die Wirklichkeit zu halten, die ganze Welt mit dem eigenen Mief auszutapezieren (womit zugleich alles, was von dieser biederen Norm abweicht, verächtlich und fertig gemacht wird). Und so wurde am FPÖ-Parteitag 2021 (wortwörtlich!) verkündet: „Wir sind nicht rechtsextrem, sondern normal.“ Genau.
Songtexte aus dem Stück „Leider“ vom aktuellen Attwenger-Studioalbum „Drum“.
Markus Binder ist Schlagzeuger und Texter des Slangpunkduos Attwenger, veröffentlichte drei Bücher, erhielt 2023 den europäischen Filmpreis für den besten Spielfilm-Soundtrack und kuratierte mit Lisa Schneider das Popfest 2024. www.markusbinder.space