Buch der Stunde

Handlungsfanatiker werden mit dem Ergebnis nicht glücklich werden, Freunde des Sprachspiels und der kühnen Verbindung sehr wohl: Ein Paar fliegt nach Mexiko, en passant erzählt es sich – in fortwährend veränderten Perspektiven – vom Mord an 70 Millionen Südamerikanern unter den Konquistadoren („Gewaltexport der Firma Europa“), zitiert Ovid, macht einen Zieher durch die Clubszene einer Stadt und später Liebe (eine der raren literarisch wertvollen Sexszenen), beklagt die Tyrannei des westlichen Viervierteltakts und erstellt im Freibad eine gültige Phänomenologie des Schönlings.

Binder liefert seine Poetologie gleich mit. Dem Roman stehe das Album als „Patchwork aus Einzeltexten, ein Gewebe von Kontingenzen, eine nicht hierarchisierte, zerfaserte Form, ein Wirrwarr an Perspektiven“ gegenüber. Da ist es nur konsequent, dass er dem gedruckten Text die Digital-EP „Teilzeitrevuesongs“ mit zehn kurzen Songs beistellt. Um ein Äquivalent zum pluralistischen Wesen des Albums zu schaffen, arbeitet Binder im Buch mit Loops, Breaks, Rhythmen, Variationen, inhaltlich mit absurden Bandnamen und vielen Songtexten.
Ein wiederkehrendes Motiv sind Verhörer und Verleser – hermeneutische Fehlleistungen, die neue Sinn­effekte erzeugen. Da liest einer „Volkszorn“ statt „Vollkorn“ oder „Christus ist von den Trotteln auferstanden“. Binders Prosasongs enthalten mitunter fundamentale Weisheiten: „Die Paare genießen die Jahre. / Sollen sie genießen, bevor sie sich erschießen.“

Dominika Meindl in FALTER 12/2017 vom 24.03.2017