TEILZEITREVUE Review FM4

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Depression und Alltag

Markus Binder, hauptberuflich Drummer bei Attwenger, geht in seinem Buch „Teilzeitrevue“ der Welt auf den Grund. Rätselhafte Prosa, scharfe Analyse.

Warum sind wir so müde? Markus Binder macht in seinem eben im Berliner Verbrecher Verlag erschienenen Buch „Teilzeitrevue“ einige mögliche Antwortangebote: „Die Depressiven waren erschöpft von der Anstrengung, sie selbst werden zu müssen.“

Für gewöhnlich kennt man Binder als die textende und schlagzeugspielende Hälfte der oberösterreichischen Band Attwenger, nach seinem 2005 veröffentlichten skizzenhaften, labyrinthischen Erzählband „Testsiegerstraße“ hat er jetzt wieder einen weit verästelten Text aneinandergeschnitten, der gerade noch vage als Prosa durchgehen mag.

In „Teilzeitrevue“ geht es um fast alles. An der Oberfläche ist das Buch – auch wenn es nicht auf dem Cover zu lesen ist – der nebulöse Umriss eines Romans. Plot findet so gut wie nicht statt.

„Teilzeitrevue“ begleitet ein Pärchen auf einer Reise, auf Reisen, im Schwebezustand zwischen den Orten: Flughafen, kalt, klinisch, Eisenbahnfahrt, irgendwo ankommen. Ein Gleiten durch Nachtklubs, Bars und Restaurants – später ist man dann wieder woanders oder am Ende vielleicht sogar schon gestorben.

Es ist ein sehr passives Buch, und das mit Absicht, und das ist gut so. Figuren erwachen nicht zum Leben und handeln wenig, Namen tauchen so gut wie nie auf. Vielmehr sind die Menschen hier Trägermaterial für Überlegungen und Analysen, anonyme Schrauben in Systemen, die funktionieren müssen.

Wer hier spricht, ist oft unklar und egal. Er? Sie? Ein Kellner? Eine Prostituierte? Ein Passant, Menschen im Gewimmel? Der Erzähler? Das Personal des Buches ist Personal, mehr Beobachter denn Protagonist.

In der Mitte von „Teilzeitrevue“ schreibt Markus Binder Folgendes: „Dem Roman mit seinem erzählenden Charakter steht die zersplitterte Struktur des Albums gegenüber, ein Patchwork aus Einzeltexten.“ Es ist kaum verstiegen, diese Passage als ein Leitmotiv für Binders eigenen Text zu lesen.

Kurz davor wird von der „Theory of Everything“ gesprochen – auch das ist dieses Buch beinahe. Binder schreibt über Kunst, Kultur, Musik, Markt, Politik, Konsum, Geschäft: Wenn ein Künstler berühmt wird, so hören wir, darf er – und muss vielleicht auch ein bisschen – den Ausgang der Wahlen kommentieren. Wenn ein Künstler berühmt wird, wird er das, wogegen er einst angetreten ist; das, was er furchtbar hasst: nämlich Teil des Establishments.

Ein zentrales Thema von „Teilzeitrevue“ ist die Arbeit, die Leistung, das Abwägen der Prinzipien „Effizienz und Ehrgeiz“ versus „Kontemplation und Gelassenheit“. Acht Stunden täglich müssen wir auf dem Sessel sitzen, dann kommt das Geld und wir können uns damit etwas Schönes kaufen und uns damit selbst modellieren und definieren. Eine Identität engineeren. Die goldene Selbstverwirklichung ist mittlerweile Pflicht.

Inszenierung und Performance, vor anderen, vor uns selbst, bisweilen imaginieren wir uns unsere Leben als groß angelegte Schwindel und Mainstream-Hollywood-Blockbuster. Markus Binder haucht den alten Geschichten neues Leben ein.

Die Beobachtungen und Reflexionen sind spezifisch und detailreich, die umgebende narrative Rahmung bleibt diffus, anonym, ortlos. Die Zeit dürfte eine nähere Zukunft sein – dann eventuell wieder eine andere. Markus Binder schreibt, die deutsche Sprache sei blass, sie habe keinen Flow. Man muss sich da überhaupt gar nicht Attwenger anhören, um zu wissen, dass der Mann sich da kokett selbst in den Sack lügt. „Teilzeitrevue“ lebt von Fluss und Rhythmus, dann wieder von harten Schnitten, der unvermittelten Nebeneinanderstellung einander fremder Tonlagen und Szenarios. Der Blick des Analytikers ist meist trocken, nüchtern, manchmal auch bitter, dann wieder wird es lustig. Vor allem wenn Binder über Musik schreibt. Über Minimal-Techno und die einstigen Versprechen von Dance-Culture, von heilsbringender Anonymität und Entpersonalisierung.

Von Punkbands und den komischen Namen, die sie oft haben: Vollgerotzte Salatschüsseln, Durchgeschossene Rigipsplatten, Die Proleten.

„Teilzeitrevue“ ist ein vielstimmiges Meinungsgewirr aus Positionen und Posen, übersprudelnd vor Idee, Wahrheit und Utopie, dabei ohne Fett. Diskurs aus der Virtual Reality, Pamphlet, Sci-Fi, Pop und Akademie, Gift und Hoffnung.

FM4 Philipp L´heritier 11. 2. 2017 – 14:32 Uhr