TEILZEITREVUE Review a3 Augsburg

—> Artikel online

 

Markus Binder, die sagenhafte Rhythmusmaschine von Attwenger, schreibt auch gute Texte. Gegenwärtig ist er Gast auf Lesebühnen im deutschsprachigen Raum. Ein Interview.

In seinem neuen, beim Berliner Verbrecher-Verlag erschienenen Buch »Teilzeitrevue« geht es ums Reisen, Clubs, das Drinnen und Draußen. Binder erzählt Geschichten und wechselt dabei gern die Ebene. Seine Wortspiele erinnern an konkrete Poesie. In seinen Texten zeigt er Position. Außerdem sind sie immer wieder saukomisch. Am Tag der Deutschen Einheit war der Entertainer mit gut 30 Jahren Bühnenpräsenz im Kulturhaus abraxas.


a3kultur: Was macht einen guten Club aus?
Markus Binder: Prinzipiell würde ich das nicht an der Architektur oder der Art des Sounds festmachen, sondern daran, wie es mich anspricht. Wenn du kommst und denkst, das ist interessant, da ist irgendwas zu holen. Wenn da eine Atmosphäre ist, die dir was erzählen kann, oder Leute, die dir was erzählen können, oder eine Musik, ein Sound.

Du kommst viel herum – reist du gern?

Ja, ich bin sozusagen vielreisend. Es ist inspirierend, zu reisen, und für mich auch eine Form, zur Ruhe zu kommen. Die physische Bewegung führt auch zu einer Bewegung des Denkens. Das gefällt mir und ist eine Art Grundton in dem neuen Buch.



In »Teilzeitrevue« sind weder Orte noch Personen klar definiert. Die Geschichten passieren auf verschiedenen Ebenen, die ständig wechseln.
Ja, das ist natürlich auch so ein bisschen der Trick dieses Buches. Es existieren keine konkreten Personen mit Namen und Altersbeschreibung. Dadurch öffnet sich der Raum für den Text und macht Platz für die Vorstellungskraft der Leser. Der assoziative Duktus dieses Buches kann sich besser entfalten, indem ich nicht zu genau festlege, wo und wann und wer da am Werk ist.

Bietet dir das Schreiben mehr oder eher andere Möglichkeiten als die Musik?

Schreiben ist für mich eine Sache, die ich sehr gern parallel zur Musik mache. Quasi als Sehnsuchtsort, an dem ich alle möglichen Gedanken und Ideen formulieren kann. Nicht reguliert sozusagen und vollkommen frei, mich sprachlich zu äußern. In der Musik hast du doch den Rhythmus und oft auch den Reim, der dir die Richtung vorgibt. Obwohl ich im Buch auch gereimte Passagen habe, weil mir das einfach Spaß macht.

Interessieren dich eigentlich Theorien wie zum Beispiel zur konkreten Poesie? Manchmal gibt es gewisse Parallelen dazu in deinen Texten.
Ja, natürlich. Seit ich denken kann oder seit ich mich mit Sprache beschäftige, interessiere ich mich dafür, was Sprache eigentlich ist und welche Möglichkeiten der Umsetzung sie mir bietet. Und da geht es dann natürlich immer um die grundlegenden Fragen: Aus was setzt sich Sprache zusammen, wie ist sie eigentlich konstruiert? Da sind 26 Zeichen, die wir zur Verfügung haben und mit denen wir alles ausdrücken können. Von da aus kommt man natürlich schnell auf die konkrete Poesie, die sich genau mit diesen grundsätzlichen Fragen beschäftigt und einen besonderen Zugang zur Sprache entwickelt. Natürlich gibt es da auch zeitgenössischere Beispiele, zum Beispiel in der Popkultur, aber auch in der Literatur.

Du stehst nicht nur mit Attwenger auf der Bühne, sondern machst auch Nebenprojekte. Sind die Szenen in Österreich eigentlich durchlässiger als in Deutschland? Ist man als Musiker dort näher an der Poesie oder Schriftstellern, da man enger beieinander ist, allein schon weil das Land kleiner ist?
Das kommt mir manchmal auch so vor. Wir haben mit Attwenger und auch ich persönlich Kontakt zu recht unterschiedlichen Leuten aus allen möglichen Bereichen. Gerade in einer Stadt wie Wien, die eigentlich riesig ist – mit 1,7 Millionen Einwohnern nach Berlin die zweitgrößte Stadt Deutschlands, wenn man so will. Eine Metropole eben, und da trifft man Schriftsteller, Filmemacher, Musiker. Da läuft ein reger Austausch zwischen den Szenen, und trotzdem fällt mir auf, dass die Trennlinie relativ scharf gezogen ist: Zwischen der Musikszene und der Literaturszene gibt es wenige wirkliche Überschneidungen. Das finde ich schon schade. Für mich ist Musikmachen oder Schreiben quasi ein und dasselbe Ding. Ich mache das nach dem Lustprinzip.

Das wundert mich jetzt ein wenig. Was ich so über die Jahrzehnte an österreichischer Musik aufgeschnappt und zu schätzen gelernt habe, zeichnet sich oft durch kluge, aber auch unterhaltsame Texte aus. Da liegt der Link zwischen Musik und Literatur irgendwie näher, dachte ich.

Von den Protagonisten her wahrscheinlich schon. Doch die Veranstaltungsstrukturen, die öffentlichen Programme, der Vertrieb sozusagen oder die Verwaltung, die bringen diese Trennung. Die haben ganz verschiedene Rhythmen, stelle ich fest.



Hast du als Autor eine andere Dramaturgie im Sinn wie als Musiker?

Eigentlich nicht. Das Interessante beim Schreiben ist, allein mit den Mitteln der Sprache zu versuchen, so etwas wie einen musikalischen Effekt zustande zu bringen. Von musikalisch erzeugten Sounds bist du schneller eingenommen. Die sprechen den Körper direkter an. An dieses Resultat ohne Musik heranzukommen, das reizt mich. Wenn du nur mit der Sprache arbeitest, musst du versuchen, mit diesen speziellen Mitteln einen Sound zu erzeugen beziehungsweise – was für mich fast noch ausschlaggebender ist – Bilder. Ich sehe bei den Texten, die ich aus meinem Buch lese, sehr schnell Bilder. Ich stelle mir das Geschriebene auch immer als etwas sehr Optisches vor.

Das hat auch bei mir funktioniert. Als ich dein Buch gelesen habe, hat sich an vielen Stellen eine klare Visualisierung bei mir eingestellt. Wahrscheinlich vergleicht man das, was man liest, mit Dingen, die man selber an irgendwelchen Orten erlebt hat.
Ja, und das ist eben auch der Grund, warum ich bei den Orten und Leuten in meinem Buch nicht zu konkret werde: um der Vorstellung des Lesers genug Platz zu lassen, damit er sich das selber ausmalt. Bei einem Text, der dich inspiriert, fängst du an, in deinem Kopf einen Film ablaufen zu lassen und deine eigene Fantasie einzusetzen. Literatur kann eine Vorlage sein, um die eigene Vorstellungskraft auszutoben.



Ein Kollege aus Österreich hat zu »Teilzeitrevue« geschrieben, dass er beim Lesen deine Stimme hört. Bei mir war das nicht so. Vielleicht weil ich deine Stimme mit diesem ungefilterten oberösterreichischen Dialekt abgespeichert habe. Und das mit dem Dialekt ist ja so eine Sache. Mittlerweile ist das Thema auch beim Heimatsound des BR gelandet und wird dort fleißig bedient. Nervt dich so eine Vermarktungsschiene mit Heimat und Dialekt eigentlich?
Ein schwieriges Thema. Zumindest finde ich es super, dass der BR im Gegensatz zum ORF überhaupt so was ins Fernsehen bringt. Bands wie Attwenger eine Stunde live – das gibt es bei uns einfach nicht, leider. Ich bin ein großer Fan von Formaten wie dem legendären »Live aus dem Schlachthof«. Diese ganze Heimatsound-Aufmachung, die heute läuft, macht für mich zu sehr auf Sensation, Event und lustig. Das brauche ich nicht. Aber wer braucht das schon?

Jetzt hast du auf den Spaßfaktor verwiesen, der im Showgeschäft die große Rolle spielt. Wenn Künstler politisch relevante Themen dauernd unter diesem Aspekt präsentieren, lehnen sich die Leute doch irgendwann zurück, klopfen sich auf die Schenkel. Sie stimmen den Unterhaltungsmachern zu, denken sich, recht hat er, und dann ist das Thema für sie erledigt.
Dieses ewige Sichbelustigen und »Tralalalisieren« von allem, das Verpacken von allem Möglichen in lustige Formate oder witzige Sprüche, weil es sonst vermeintlich niemanden interessiert, das ist eine Tendenz, die man in den letzten Jahren gut beobachten konnte. Wenn du dich lustig machst, ohne Themen wirklich wichtig oder ernst zu nehmen, entstehen natürlich auch Freiräume für bedenkliche Strömungen.

Musst du dich beim Schreiben zurücknehmen, um Dinge so auf den Punkt zu bringen, dass sie Witz haben und trotzdem eine klare Aussage transportieren?

Das ist im Grunde harte Arbeit. Es ist immer wieder ein Satz oder ein Wort zu viel. Oder es geht darum, ein Wort durch ein noch besseres zu ersetzen, damit der Gedanke, der Sound so rüberkommt, wie ich mir das vorstelle. Das ist ein wichtiges Prinzip meiner gesamten sprachlichen Arbeit: die Sache minimieren, klar und deutlich auf den Punkt bringen.

Du machst Texte, du machst Musik, du machst Grafik. Wie viel Anteil hat jetzt oder wird in Zukunft die Schriftstellerei bei dir haben?

Die Arbeit am nächsten Album beginnt gerade und die schriftstellerische Arbeit läuft parallel immer weiter. Dass die Schriftstellerei in Zukunft einen höheren Stellenwert einnimmt, kann ich mir gut vorstellen.

Schreiben und auf Lesereisen gehen, das klappt neben der Musik also ganz gut. Bei dem körperlichen Einsatz, den ihr bei den Konzerten immer bringt, fragt man sich aber schon, wie du das durchhältst. Gibt es ein spezielles Markus-Binder-Fitnessprogramm?

Ich gehe schwimmen und mache auch sonst noch ein bisschen was, um beweglich zu bleiben. Das ist ja das Schöne bei diesen Konzerten. Du gehst auf die Bühne und für 90 Minuten spielst du wie verrückt und singst. Da bist du natürlich körperlich gefordert. Was kein Fehler ist, aber auch kein Fitnessprogramm.

Kommen wir noch mal zu den Clubs. Wo ist der beste?

Wir waren irgendwann in den Neunzigern in Asien auf Tour. Da sind wir in so einem Club in Singapur gelandet, das war wie im Märchen. Eine super Architektur, super Licht, super Sound und einfach super Leute. Eine Mischung aus Menschen, die du sonst einfach nicht siehst, quasi aus aller Welt, offen, lustig und faszinierend. Ich kann dir den Namen des Clubs heute nicht mehr nennen, aber er hat so was Bestimmtes gehabt, das bis jetzt als Bild in meinem Kopf lebendig geblieben ist. Er war von einer extremen Sexyness, Offenheit und Internationalität.

27. Oktober 2017, Jürgen Kannler