TEILZEITREVUE Leseprobe

FLUG

Das Flugzeug, das langsam zur Startbahn rollte, sah aus wie ein riesiges Insekt aus Blech. Sie bauen Insekten nach, in 8000-facher Größe, stecken Düsen drauf, setzen sich hinein, fliegen irgendwohin, beobachten die Welt aus der Vogelperspektive, steigen wieder aus, lassen sich zum Strand bringen, trinken Cocktails, schreien das Personal an, fühlen sich im Recht, fühlen sich schlecht. Insekten in Originalgröße krabbeln über ihre Kehlköpfe, jucken, ätzen und laufen um ihr Leben, bevor sie erschlagen werden.

Als sie den internen Bereich des Flughafens verließen, sahen sie, wie die Zollfahndung den Koffer einer Frau durchwühlte, um daraus einen menschlichen Kopf hervorzuholen. Es war der Kopf eines Mannes, bereits einigermaßen verschrumpelt. Helle Aufregung. Einen derartigen Fang machten sie auch nicht oft. Die Besitzerin des Koffers, eine Haitianerin, erklärte den bleichgesichtigen Zollbeamten, dass es sich um den Kopf eines vor fünf Jahren verstorbenen Verwandten handle und sie diesen als Priesterin zur Abhaltung ihrer Voodoo-Zeremonien benötigen würde und ihn deshalb ständig bei sich tragen müsse.

In der Ankunftshalle saßen zwei junge Frauen an einem Tischchen, Hoffnungsschimmer und Himmelblau, uneins über die Gestaltung ihrer Fingernägel genauso wie des Lebens auch.

Um einen Gegenzug abzuwarten, war das Reisetempo reduziert worden. In der Gegend, die sie nun mit verlangsamter Geschwindigkeit durchquerten, hatte sich Nebel ausgebreitet. Rechts vor ihnen eine Tankstelle. In der sich nähernden Lichtwolke erkannten sie einen Turm voller Zahlen, aufgeteilt in fünf weiß glühende Balken, für jede Treibstoffsorte einer. Sie beobachteten das riesige, hell leuchtende Flachdach, in sieben Metern Höhe schwebend, umrandet von einem scharf leuchtenden roten Lichtstreifen. Sie konnten die Säulen nicht sehen, die das Flachdach trugen, die Benzintanks nicht, die unter dem glatt betonierten Boden in die Erde eingegraben waren. Sie sahen die Schläuche, wie sie an den Zapfsäulen hingen, sie sahen keinen Menschen, keine Tankenden, sie sahen die Lichtquelle nicht, die hier alles in kaltes, weißes Schimmern tauchte, sie sahen gerade Linien, Ordnung, Stille, Sauberkeit. Nichts rührte sich am ganzen Gelände. Auch im Shop, in dem die bunt verpackten Waren dicht gedrängt die Regale füllten: keine Bewegung. Die Wassermoleküle des Nebels transportierten das Licht und seine Farben zu ihnen wie elegant verpackte Informationen für Vorbeifahrende, und als sie die Tankstelle passiert hatten, war ihnen, als ob sie im Zurücksehen schemenhaft die Umrisse von Leuten erkennen würden, die wie Schlittschuhläufer über das flache Dach glitten. Daran ließen sie ihre Blicke hängen, bis sämtliches Licht vom dunkler werdenden Nebel aufgesaugt worden war.

 

HALB AUS

Er fühlte sich unter dem über seinem Kopf befindlichen Glas zunehmend unwohl. Draußen, auf der Straße vor ihrer Wohnung, stieg ein wenig Rauch aus dem Gully, eine Ampel blinkte orange, die Häuserzeile wurde für eine Sekunde in oranges Licht getaucht, dann wurde es kurz wieder grau und finster, dann wieder orange. Auf dem Teich in der Nähe schaukelte eine Plastikente, die von einem zweieinhalbjährigen Kind zurückgelassen worden war, das eine halbe Stunde zuvor überstürzt aufbrechen hatte müssen, weil es den Großen zu dunkel geworden war. Nichtplastikenten paddelten an ihr vorbei auf dem Weg zum Ufer, wo sie die Nacht über ruhten. Vor einer Autowerkstatt zwei Typen, die im schummrigen Licht wie Schauspieler aus der Stummfilmzeit aussahen. Sie sprachen über Werkzeuge und Reparaturen. Alles vorbei. Vorbei der Tag, der nachklang mit einem wohligen Delay. Alles war weicher geworden. Die Werkzeuge, die schmutzigen Kleidungsstücke, das Hämmern von Metall auf Metall, das Licht. Die Stimmen der Redenden klangen dementsprechend gut.

Als sich der Mechaniker nach Beendigung seiner Arbeit einen Ölfleck vom Handrücken wischte, wischte er zum Spaß auch über das Muttermal, das, seit er denken konnte, auf seinem Handgelenk gesessen hatte und staunte nicht wenig, als dieses verschwunden war.

In der Auslage des Telekomladens saß in brüllendem Neonlicht ein bleiches junges Pärchen, das von den fünfzehn Leuten übriggeblieben war, die in diesem zehn Quadratmeter großen Raum vor drei Tagen den Wettbewerb im Dauertelefonieren in Angriff genommen hatten. Die Beiden redeten und redeten immer noch unaufhaltsam in ihre Mobiltelefone hinein. Beide wollten sie den Hauptpreis: drei Jahre gratis telefonieren. Weltweit. Mit und ohne Bild.

In der Straßenbahn, die leise singend vorbeifuhr, saß einer und dachte: Verdammt, der Rhythmus ist auseinander gefallen und die Bemühungen, den Rhythmus wieder hinzukriegen, würden zu Anstrengungen führen, die nur müde machen. Der ganze Waggon hier ist voller Leute, und obwohl noch früher Abend ist, ist es ruhig wie inmitten der Nacht, die Fahrgäste dösen wie Patienten. Die Gedanken, die durch ihre Köpfe rieseln, aufzuschreiben, wäre wie Abwasser filmen oder dem Wind lauschen, der sich dadurch bemerkbar macht, dass er Gegenstände in Bewegung versetzt, Objekte mit Hohlräumen zum Heulen bringt, Boote an Land wirft, Dächer auf den Erdboden, Menschen in Flüsse. Ein anderer Fahrgast hörte mit Kopfhörern Musik, auch das trieb Filme voran. Bevor die Bilder anfingen hochzusteigen, dachte er darüber nach, dass ja wohl die Musiker, deren Musik er jetzt hörte, auch einmal müde sein müssten und dass es für die Müden, so wie er jetzt einer war, eine Wohltat wäre, wenn die Unmüden Dinge produzierten, die so ein Müder beim Müdesein genießen konnte. Er selbst montierte beruflich Heizungen und dachte jetzt daran, dass es sehr wohl möglich war, dass er müden Musikern zu einer angenehmen Zeit verholfen haben könnte. Sofern diese die Temperatur an ihren Heizkörpern dementsprechend eingestellt hatten. So wie er die Lautstärke an seinen Kopfhörern. Temperatur und Lautstärke selber regeln.

 

KLUBS

Wo wohnt das Gewohnheitstier?
Mir kommt vor, es wohnt in dir.
Ganz genau so gut in mir.
So gesehen: Zoos sind wir.
Zoos für das Gewohnheitstier.

Auf irgendeinem Infotainmentgerät, irgendwo am Weg, ein Kurzbericht über die Verleihung des 2487. Sterns am Walk of Fame. Der Schauspieler fühlte sich, als ob er nach Popcorn riechen würde. Es war der Geruch der Jahrmärkte, der aufdringliche Geruch von Sweetness und schnell produzierter Wärme, der Geruch, dessen Bestimmung es war, sofortige Aufmerksamkeit zu erregen. Es roch nach Musicalmusik, nach größtmöglicher Sensation bei möglichst geringem Gegenwind. Ein Geruch, der heutzutage gar nicht mehr erzeugt wurde, nicht mehr erzeugt werden konnte, weil die Sehnsucht nach monströser Bigness verloren gegangen war im Fahrtwind des rasenden Schaugeschäfts. So lag der Stern mit den metallenen Gesichtszügen des Stars nun direkt vor dessen Füßen. Bald würden Fußabdrücke aus Scheiße darauf kleben, hinterlassen von Leuten, die, ohne es bemerkt zu haben, auf Hundekot getreten waren. Der Star sah es so kommen. Er war sensibler als die Menschen um ihn herum, der Star, er hatte diesen Riecher, er konnte riechen, was kommen würde. Bad smelling footprints, diese Worte gingen jemandem durch den Kopf, der in diesem Augenblick die Gedanken des Stars las, ein Stargedankenleser. Der Star zuckte, als er merkte, dass jemand seine Gedanken las. Er wusste es, andere pflegten in ihn einzudringen, Vampire, Blutsauger, Leute, die sich in einen reinbeißen und Blut aus einem raussaugen. Er dachte: Ich bin eine Zapfsäule, so stehe ich hier, um ausgesaugt zu werden, damit wieder jemand mit Sprit versorgt ist. That’s Showbusiness. Er hatte Benzingeruch in der Nase. Er sah Autos an sich heranfahren wie Bienen, die sich an Blüten heften. Er sah, wie sich Dreck auf seinem Stern zu sammeln begann. Wie Blütenstaub glitt der Staub der schmutzigen Straße sanft über den Gehsteig und über den in den Gehsteig eingelassenen Stern, vom lauen Lüftchen des sonnigen Nachmittags vorangetrieben. Staub und Blütenstaub. Dreck und Befruchtung. Was für eine Parallele, welch heiterer Gedanke an diesem fremden Ort mit seinem glatten Boden, auf dem wir stehen und versuchen, nicht davon zu rutschen wie große Tiere auf zugefrorenen Seen. Unser Gewicht allein ist es, das uns am Boden hält. Das Gewicht der Sterne am Himmel versetzt uns in Drehung, und wir taumeln wie von Vampiren verfolgte Blutbeutel auf den Eingang zu, die Tür geht auf, das Publikum johlt, und um die Ecke hat der Hund sein Häufchen gemacht. Fame is dirt.

Ein siebenundzwanzigjähriger Typ, der aussah, als würde er in einer Firma arbeiten, die mit dem Slogan „ Wir setzen neue Maßstäbe“ wirbt, zupfte beim Verlassen der Bar lässig eine Weintraube aus der appetitlich drapierten Obstschale, die in der Nähe der Tür aufgestellt war, steckte sie in seinen Mund und stellte beim dritten Bissen fest, dass es sich hier um eine Plastikweintraube handelte. Pech gehabt. Er spuckte das angebissene Dekorationsobjekt aus, verfluchte die Obstschale, das ganze Lokal und sah aus wie jemand, der denkt: Mich seht ihr hier nie wieder.

 

DRINNEN

Auf dem nächsten Blatt: Die Gotteskrieger hatten verstärkt Zulauf von Frauen erhalten, die sich in die Schlacht werfen und darüber hinaus zu Müttern künftiger Kämpfer werden wollten. Die Frage welche Art von Gesellschaft war noch lange nicht. Die Kinder waren dem Einfluss schutzlos ausgeliefert. Und das war gewollt. Die hiesigen Verwandten und Bekannten hatten eigene Vorstellungen über Wirkung und Bedeutung ihres Verhaltens entwickelt. Groß ihre Köpfe. Was sie außerhalb ihrer selbst für die Umliegenden darstellten: Wer sollte es ihnen sagen. Niemand wollte. Niemand konnte. Weil alle in der Hand von Umständen und Innenwelten. Da meldeten sich schon wieder die Gotteskrieger. Sie machten ihre Verbrechen digital und global zugänglich. Immer schon wurde die neueste Technologie dazu verwendet, die Effizienz bei der Zurschaustellung des Massakrierens zu steigern. Eine Garde von Schweizern trat ihnen unter dem Zeichen eines Kreuzes aus der Ferne entgegen, Bier trinkend und weite Landstriche für die Gewinnung schnell wachsender Nahrungsmittel vernichtend. Sie alle lehnten den Gebrauch von Drogen ab. Offiziell. Die Schicht der Konsumenten war von den Verfassern der Gesetze äußerlich nicht zu unterscheiden. Da wurde plötzlich von verschiedenen Stellen festgestellt, dass soeben ein großer Teil der An- und Abwesenden von einem massiven Gefühl der Sinnlosigkeit erfasst worden war. Schreie am Gang, zerknautschtes Blech, es roch nach Blut und Urin. Der Angriff der Absolutisten war verheerend. Rückfall in pure Brutalität. Aussortierung aller Schwachen. Gefangene Frauen für tausend Dollar verkauft. Andersgläubige in die Luft gesprengt. Zurück zu Kalifat und Patriarchat. Vor den Fernsehgeräten kam Langeweile auf. Die nicht enden wollenden Berichte über Krieg und Crash begannen dem Publikum auf die Nerven zu gehen. Verlangt wurde nach Komödie. Die Industrie war bereit. Kill to win. No prisoners. Beim Gegner handelte es sich um einen so genannten Mischkonzern. Die Querfinanzierung des Entertainmentbetriebs durch Gewinne aus der Rüstungsabteilung hatte zur Folge, dass sich die Ausgaben für Komödien massiv erhöhen ließen und wenn dann wieder mal nach Krieg verlangt wurde: Auch kein Problem. Die Waffen waren da, die ethnisch aufgeladenen Kontrahenten zum Einsatz bereit, die Kanäle, die Korrespondenten, die Schaulustigen. Bei einem derart großflächig einsetzenden Verlust an Würde und Zivilisiertheit fragte sich ein Teil des westlichen Publikums, ob nicht zumindest das hierorts bisher Erreichte einen Fortschritt darstellte, der als Vorbild für ein gelungenes Zusammenleben gelten könnte. Aber nein, nur einen Gedanken weiter war schon wieder klar: Nee. Auch hier war massiv Gewalt im Spiel gewesen. Auch der laut ihren Repräsentanten perfektesten Form von Society waren über unheimlich lange Zeit verheerende Akte unmenschlichster Gewalt vorausgegangen. Mord, Totschlag, Massenvernichtung. Und da sitzen sie und staunen. Staunen wie Dumme. Staunen ist dumm, riefen die Ermordeten.

– War das, was sich als Mainstream durchgesetzt hat, jemals?
– Selten. Meistens war es doch nur das Konventionellere, das auf den Sockel kam.
– Kann sein, dass die interessantesten Sachen die Öffentlichkeit gar nicht erreicht haben.
– Sieht so aus.
– Die Öffentlichkeit.

Flüssigkeit trinken wir schwitzen im sitzen
Den Müll aus den Poren der glänzenden Haut
Das Eis ist geschmolzen der Tee in der Kanne
Brillen verändern den Ausblick gekonnt
Knallen mit Wucht gegen dehnbare Scheiben
Wollten so gerne mal nicht übertreiben
Dasselbe Problem in verschiedenen Sprachen
Teile getöteter Tiere im Brot
Hunderte Kinder in Schulen als Geiseln
Ständiges Tropfen betört das Gehör
Wären wir Fremde wer würde uns sagen
Wie tief das Gewässer in dem wir hier baden
Einsamkeit hilft nicht in jenen Momenten
In denen die Seichtigkeit schwer dominiert
Die Aufmerksamkeit für politische Fragen
Hat sich am Nachmittag wieder gelegt
Das Bellen der Hunde verfing sich in Ästen
Die sich bewegten als wehte der Wind
Wir verließen den Standpunkt von dem aus wir sahen
Wie wenig wir waren und was uns verband
Die Falten im Mantel des alten Passanten
Verhielten sich ähnlich wie seine Verwandten
Die Schaufensterpuppe zwinkerte einmal
Und zwei Mal erwiderte er ihren Blick
Ich werde es mir sagte sie überlegen
Doch er hatte trotzdem noch etwas dagegen
Das Frühstück war bitter die Aussicht war gut
Die Gäste verließen die Stadt mit dem Zug
Sie warteten oftmals vergeblich auf Antwort
Der Spruch an der Mauer gab auch nicht viel her
Im Schatten der Boote verbargen sich Katzen
Der Duft an den Planken war ihnen vertraut
Das Erdbeben konnten sie rechtzeitig spüren
Die Gläser die klirrten die Schranktür ging auf
Es kamen diverse Leute zum Vorschein
Die saßen am Pool einen Drink in der Hand
Deutliche Anordnung strenger Patrouillen
Geschrieben gebrüllt in Sprache aus Stein
Drang der Termine elektrisch geregelt
Der Uniformierte er durfte hinein
Über dem Boden ballten sich Wolken
Smog aus verdammten bekannten Gedanken
Früher war blühen heute sind Mühen
Sortieren von Kräften Verzichten auf Crash
Kaltes Verstehen bestimmter Personen
In freundlichen Posen und lautem Design
Verängstigte Gäste in Schuhen aus Leder
Das Murren der Tausend das Klatschen im Takt
Das Käfiggehabe des Alkoholismus
Die drückende Hitze im Großraumbüro
Der Einfluss des Ostens auf Leute im Westen
Der Lift blieb nicht stehen im achtzehnten Stock
Geronnenes Blut an der Wunde des Fingers
Die Runden seit Stunden oft wiederholt
Vereinzelte Schauer verdarben die Stimmung
Durch nichts mehr zu ändern die Abfahrt danach
Die Pause zwischen den einzelnen Punkten
Ermöglichte allen ein gutes Gespräch
Der Verrat an der Gruppe war lange verjährt schon
Das Kreischen der Meute verdrängte den Plan
Ein plötzlicher Anruf und alles zunichte
Das ständige Ticken des Tages gab nach
Die einfachsten Dinge gelingen nicht immer
Überall Troubles die Lage ist toll

 

DRAUSSEN

In einigen nördlich gelegenen europäischen Großstädten war es üblich geworden, im Innenstadtbereich Plastikbäume mit Plastikorangen aufzustellen. Kanadische Touristen riefen erstaunt: Oh! Diese Klimaerwärmung.

Ein Junge stand am Straßenrand.
Geld, das fiel ihm aus der Hand.
Die Sonne schien wie ein Revolver.

Sie gingen abwärts über Stufen, liefen nebeneinander her, summten verschiedene Melodien, gingen an dem Hotel vorbei, das am selben Platz stand wie früher das Haus, in dem sie gewohnt hatten, Luftschlitze in den Gebäuden und an den Klamotten sorgten für etwas Durchlüftung, die Verbindung von Glücksgefühl und optischem Eindruck verlor ihre Wirkung, ein Atemzug huschte unbeachtet vorbei wie neun Autos, die Zähne standen schief im Mund wie vom Wind gebeugte Bäume, was hilft schon die kleine Klarheit in der Kindheit, wenn sie älter werden, werden sie zweifeln, niemand soll mehr weinen müssen, er fand das zum Lachen und führte doch jahrelang in seinem Kopf einen von ihm allein verfassten Dialog, der die Sprachzone seines Gehirns besetzte, unfreiwillig redete er mit ihr, immer wieder, wie ein Bach, der ohne Ziel dahinfloss.

– Auto, du kleines fahrbares Häuschen. Du schützt uns vor dem Regen und dem kalten Sturm, der uns entgegenbraust, wenn du mit uns durch die Gegend saust. Und wenn es heiß ist und wir die Klimaanlage einschalten und sie nicht funktioniert, dann verfluchen wir dich, Auto, das du entlang der Gehsteige stehst mit den anderen Autos, dort wo ihr Autos untereinander sein könnt, wo ihr nicht alleine seid. So viele seid ihr, grausilbrig, ordentlich gepflegt, windschlüpfrig, zugehörig. Jedes Auto gehört irgendwem, jedes Haus. Der Besitz macht uns zu unterscheidbaren Teilnehmern am selben Spiel. Und jedes Auto versucht die Individualität derer auszudrücken, die es besitzen. Ach, ich habe lange überlegt, welches es werden könnte. Und dann habe ich dich gesehen und mir war klar, dass nur du es sein kannst. Welche Lust es mir doch bereitet, mich abzugrenzen von euch allen anderen, die ihr genau wie ich einen persönlichen Mix zusammenstellt aus dem Angebot, das uns die Firmen bereitstellen. Ist es nicht beglückend? Wir haben die Möglichkeit zuzugreifen, zuzuschlagen, zuzugeben, wer wir sind. Indem wir mit unserer Kaufentscheidung beweisen, wie geschmackvoll wir sind, wie individuell, wie intuitiv. Es ist schon fast zu unserer Lebensleistung geworden, uns nach reiflicher Überlegung für das Richtige zu entscheiden. Und damit irgendwie auch verstanden zu werden. Und dadurch irgendwo auch Mitgefühl hervorzurufen. Natürlich inklusive Abgrenzung. Mitgefühl inklusive Abgrenzung. Die ideale Mischung. Das ist es, was uns verbindet.

Am Fuß einer Rolltreppe standen zwei Arbeiter hüfttief im Boden, um das Antriebsrad des Handlaufs zu reparieren. Einer von ihnen dachte an seine Frau und die Kinder. Der Text in seinem Kopf kam immer wieder an folgender Formulierung vorbei: Wenn uns die Kraft ausgeht, wenn uns nur nicht die Kraft ausgeht.

Im Einkaufszentrum drinnen
Im Regaleinräumerzimmer:
Sie hatten so wie immer
Keinen blassen Schimmer
Von dem Hintergrundgewinner
Hinter all den Blechregalen
Die zu wiederholten Malen
Sie befüllten mit dem Klump
Für den unsichtbaren Lump

Euer Geld kann mir gestohlen bleiben. Würdet ihr mir nämlich euer Geld geben, erst dann könnte es mir gestohlen werden. Denn wenn ich euer Geld nicht hätte, wer wollte es mir dann stehlen? Und überhaupt: Wozu bräuchte ich euer Geld, wenn nicht erst wieder nur wegen euch? Alles kostet. Oft sogar nur die Hälfte. Da nehme ich mir aber die andere Hälfte auch nicht, wenn mir nicht einmal die eine Hälfte schmeckt. Die religiösen, die künstlerischen, die Geldgeschäfte, damit halten sie uns in aller Freundschaft auf Trab, damit wir einen Sinn im Leben finden, und Sinn kostet Geld. Ohne Geld kein Sinn, und ohne Gott kein Geld. Wo Gott ist, ist Geld, und wo keiner ist, aber auch. Nur wäre ohne Gott das Leben mit Geld ohne Sinn, deshalb haben Gott und Geld dieselbe Kundschaft, und die will sich nicht aus dem Paradies vertreiben lassen. Schon gar nicht aus dem Einkaufsparadies.

Was könnten wir leisten
Wenn wir wie die meisten
Nicht müde schon wären
Dem Rest zu erklären
Dass das Leistungsprinzip
In diesem Betrieb
Ständig verschärft
Uns unglaublich nervt