Buchwucht
Markus Binder ist eine Buchwucht und hat ein Ohr für den Sound der Zeit. „Teilzeitrevue“ ist Markus Binders zweiter Prosa-Band im Berliner Verbrecher Verlag.
Als Schlagzeuger und Textautor des oberösterreichischen Slangpunkduos Attwenger hat er bis dato 11 Alben veröffentlicht und so eigenwillig wie seine musikalische Arbeit ist auch seine literarische. In „Teilzeitrevue“ gibt es einen Er und eine Sie. Es gibt auch ein Handlungsgerüst: Es wird gereist, es wird getanzt, es wird geliebt, es wird konsumiert, nein, Konsum kritisiert. Aber vor allem wird beobachtet. Und wer das alles registriert, ist gar nicht so wichtig, wichtig ist, dass es registriert und aufgezeichnet wird. Da treffen Dialoge auf Prosablöcke, da werden Verleser („Volkszorn statt Vollkorn“) und Zitate eingestreut, da fassen Vierzeiler in Reimform immer wieder das Geschehen zusammen, da spielen Rhythmus und Soundkulisse ganz selbstverständlich eine große Rolle und werden immer wieder Songs zwischengeschaltet. Da ist alles im Fluss und es wird versucht, die Komplexität der Gegenwart in Sprache zu gießen. Diese Sie und dieser Er sind erfreulich gesellschaftskritisch und geräuschsensibel. Da kann sich aus dem Tock-Tock-Terror von Blinkern und japsenden Autoverriegelungsgeräuschen schon mal eine Abhandlung über das Automobil an sich entwickeln. Da ist von Sozialrenaissancewünschen ebenso die Rede wie von schleichender Singapurisierung. Da treten im Kampf Natur gegen Technik Zikaden gegen Tintenstrahldrucker an. Da wird die Aussagensimplifizierung von Schlagertexten ebenso thematisiert wie der Schwimmbadschönling als Anti-Begriff zu falscher Bescheidenheit. Binder entführt die Leser_innen in die große weite Wortspielhalle: Geschichtengenerator, Individual Juke Box und Mutant Word Scanner inklusive. Das alles hat Witz und Groove, Hand und Fuß und Kopf und Herz.
Markus Köhle, Programmheft Prosafestival Innsbruck (gekürzt), April 2017