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Gegen die Täuschung trommeln

Markus Binders „Teilzeitrevue“: „Ich schreibe, wie ich das Leben erlebe: ein Bombardement fragmentarischer Eindrücke.“

Markus Binder trommelt, maultrommelt, programmiert und textet als eine Hälfte des Dialekt-Punk-Duos Attwenger. Sie gehören wegen der Verbindung aus Tradition und Moderne, Gstanzl und Techno zum wichtigsten zeitgenössischen Kulturgut dieses Landes. Nun hat der 54-Jährige seinen zweiten Roman, „Teilzeitrevue“, geschrieben. Er stellt ihn beim Salzburger Literaturfest vor. Was Binder schreibt, ist voller Rhythmus. Es geht in Songs, kurzen Prosatexten, Dialogfetzen und bruchstückhaften Gedanken um ein Sprachspiel zwischen Realität und Täuschung.

SN: Welche Bedeutung hat für Sie der Umgang mit Sprache?
Markus Binder: Immer schon eine sehr große, sowohl bei Attwenger als auch beim Buchschreiben ist das stets eine intensive Auseinandersetzung. Sprache interessiert mich als Material, mit dem man einen skeptizistischen, aber auch spielerischen, lyrischen und erzählerischen Umgang mit der Welt betreiben kann.

SN: Welche Rolle spielt die Sprache für Sie als Mittel zur Abbildung von Realität?
Markus Binder: In meinem Buch gibt’s zwar sehr viel Realbezug, die Sprache aber bleibt immer auch eine Täuschung. Das liebe ich auch als Leser: Ein Buch gibt mir die Möglichkeit, es auch wie ein Drehbuch oder einen Film zu verstehen, der ins Leben greift. Ich kann lesen, solange ich will, ich kann aufhören, wann ich will. Die Nutzung der Zeit und auch die Nutzung des Materials, also der Worte und der Sprache, kann ich steuern. Das fasziniert mich beim Lesen und auch beim Schreiben.

SN: Wie haben Sie das in Ihrem Buch umgesetzt?
Markus Binder: Ich versuchte eine Form zu finden, die dem entspricht, wie ich das Leben erfahre. Alles besteht aus kleinen Gesprächen, Beobachtungen, Dialogen, aus unscheinbaren Begebenheiten. Das Kontinuum aus dem allen ist dann das Leben. Es gibt im Buch eine Rahmenhandlung: zwei Personen, eine Frau und ein Mann, die sich 36 Stunden durch die Welt bewegen.

SN: Von den beiden erfährt man recht wenig, während die Welt um sie tost und die beiden in ihr.
Markus Binder: Genau, das war mir wichtig. Ich wollte den Rahmen schmal halten. Alter, Beruf, Familie – das wird verschwiegen. So kommt das Fragmentarische des Lebens zur Geltung. Eine übermäßige Handlung sollte nicht die Sprache beeinträchtigen. Die beiden sind unterwegs in Clubs, im Flugzeug, im Zug. Das ermöglichte mir, diese Leben in Spots und kleinen Einheiten wiederzugeben.

SN: Das klingt wie das Bild einer kleinteiligen, sich aufsplitternden Gegenwart.
Markus Binder: Da gibt es eine Szene, in der Worte in die Straße projiziert sind. Und dann merken die beiden, dass das ihre eigenen Gedanken sind, die von Drohnen aufgefangen und wiedergegeben werden. Das wird technisch wohl bald möglich sein. Also spielt manches auch in einer Zukunft, die nicht allzu weit entfernt ist. Man muss nicht so genau wissen, in welcher Zeit die unterwegs sind. Die Zeitebene funktioniert ebenso als leichtes Täuschungselement wie das ganze Buch.

SN: Warum ist denn die Täuschung so wichtig?
Markus Binder: Weil Sprache selbst eine ständige Täuschung ist. Das kommt ja auch als Thema vor, die Manipulation, die Macht der Medien und die Frage: Gilt ein Ereignis überhaupt, wenn es nicht veröffentlicht wird? Da ist man dann auch mittendrin in der Debatte um Fake News.

SN: Und damit auch in der Debatte, welche Wahrheit es eigentlich gibt.
Markus Binder: Ich habe das geschrieben, bevor der Begriff „Fake News“ modern wurde. Aber die Wahrheit, die wir als User übernehmen, ist immer problematisch. Es ist ja keine Frage, dass wir einer nie zuvor da gewesenen Masse an Information gegenüberstehen. Wichtig aber ist: Welche Information ist denn interessant und ernsthaft wichtig?

SN: Kann es in der Literatur um etwas wie „Wahrheit“ gehen?
Markus Binder: Nein, eh nicht. Ich schreibe, wie ich das Leben erlebe: ein Bombardement von fragmentarischen Eindrücken. Beim Schreiben will ich – zuerst für mich selbst – den Blick für Nuancen und Schattierungen schärfen. So wächst vielleicht in allem Chaos eine gewisse Klarheit.

SN: Ihr Debütroman „Testsiegerstraße“ erschien 2005. Wieso hat es so lang gedauert bis zum zweiten Roman?
Markus Binder: Vereinbart war ein zweites Buch schon für 2015. Dann erschien in dem Jahr aber das Attwenger-Album „Spot“. Das wäre zu viel gewesen. Außerdem spielt sich das Schreiben eines Buchs für mich in einem Paralleluniversum ab. Ich brauche da eine andere Umgebung, andere Schwingungen.

SN: Wie entstand dieses Buch?
Markus Binder: Ich schreibe immer viel. Vor allem das Unterwegs-Sein ist ein bedeutender Punkt. Die physische Bewegung führt bei mir schon auch zu einer geistigen Bewegung: andere Sprache, veränderte Symbole, veränderte Art, wie sie verwendet werden. Was mich bei diesem Buch stark beschäftigt hat, war das Arrangement. Es gibt auch eine starke musikalische Komponente. Am Rhythmus habe ich lang herumgetan. Und die Reimlust brach auch durch. Es sollte ein Flow entstehen, aber es braucht auch Luftschlitze – fürs Denken und fürs Lesen, für den eigenen Film.

Von Bernhard Flieher, 16. Mai 2017