Mega sauer

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Mega sauer

veröffentlicht in der WOZ, Die Wochenzeitung, Zürich, 14.10.2021

 

Wenn der Staat und die Medien eins werden:
Der Schriftsteller und Attwenger-Musiker Markus Binder zur österreichischen Korruption in ihrer aktuellen Form

Haben die österreichischen Regierungen das nicht schon immer so gemacht? Mit den Zeitungen und Magazinen, denen sie Inserate verkaufen, einen Deal vereinbaren, dass die Zeitungen und Magazine, denen sie das Geld rübergeschoben haben, vorteilhaft über diejenigen schreiben, von denen das Geld gekommen ist? Steuergeld, mit dem die Richtung, in die das Geschriebene gehen soll, gesteuert wird. Konkret soll die erzkonservative österreichische Regierungspartei ÖVP bei der Zeitung, der sie jährlich ungefähr eine Million Presseförderung überwiesen hat, Umfragen bestellt haben, die die ÖVP in ein derart günstiges Licht gerückt haben, dass schon von Wahlbeeinflussung die Rede sein kann. Als ich mir damals, als ich mir das besagte Käseblatt aus dem Plastikbehälter auf der Straße rausgenommen habe und es aufgeschlagen und reingelesen habe und gesehen habe, wie hoch die Balken für die Partei der ÖVP innerhalb kürzester Zeit gewachsen waren, dachte ich: 1. Perfid. 2. Gibt es Leute, die so etwas ernstnehmen? 3. Weil ja damals schon bekannt war, dass die ÖVP des Sebastian Kurz das Blatt, das seltsamerweise den Namen des Landes trägt, um dessen Regierung es hier geht (Österreich in Großbuchstaben), mit ungleich mehr Presseförderung versorgte als die sogenannten Qualitätsblätter, verwunderte es nicht, dass dieses Blatt seine Berichterstattung massiv nach den Interessen seines Förderers Kurz ausrichtete. Was mich gewundert hätte, wäre die Tatsache gewesen, dass sich jemand über derlei Vorgänge gewundert hätte. Sie waren derart offensichtlich, dass selbst die naivsten Gemüter verstehen mussten, was hier läuft.

 

Der Kanzler und sein Godfather

Unabhängig von diesen Vorgängen sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass der Besitzer und Chefredakteur dieser Zeitung für gewöhnlich ein Auftreten an den Tag zu legen pflegt, das an üppiger Unappetitlichkeit schwerlich zu toppen ist (Übrigens laufen gegen dieses präpotente Mogulchen zur Zeit Klagen wegen sexueller Übergriffe auf Frauen, die in seiner Medienbude gearbeitet hatten). Zudem vermittelt dieser Schmierenblattfabrikant mit dem Namen Fellner auf unfreiwillig ironische Weise den Eindruck, er wäre gern selbst so etwas wie der Premierminister des Landes, dessen Name groß auf seiner Grelltextgazette steht. Nachdem es ihm aber nicht gelungen ist, diesen Job zu bekommen, sondert er seinen durch ungestillten Machthunger entstandenen Sabber als Krawalljournalismus ab. Ein sich wiederholendes trauriges Schauspiel sind die Gespräche des kamerasüchtigen Medienwuzzis mit seinem schlanken Alter Ego Kurz, der den jungen Kanzler gibt und in diesen Gesprächen sehr freundlich die Aussagen des besserwisserischen Godfathers of austrian Infotrash gutheißt, wofür der Fellner einen eigenen Fernsehsender gegründet hat, in dem niemand öfter zu sehen ist als er selbst und in dem niemand mehr verherrlicht wird als der Kanzler des Landes, dessen Namen auch der des Fernsehsenders ist. Hier haben sich zwei gefunden, auf die das von Freud erforschte Phänomen der Übertragung perfekt zutrifft. Der zur Macht sich hinneigende Privatfernsehankermann lädt sich eine schicke Politfigur ins Studio, die seine Interessen noch einlullender zu formulieren versteht als er selbst es je könnte und der knabenhafte Kanzler mit dem altkonservativen Gedankengut hat einen idealen Adressaten für die Übertragung der von ihm vergebenen Presseförderung.

 

Alles dreckig, alle sauber

Nun hat die Korruptionsstaatsanwaltschaft des Landes, das nach der Zeitung desjenigen benannt ist, der den Kanzler dieses Landes fördert als wäre der sein eigener förderungsbedürftiger Sohn, aufgrund von sogenannten Chat-Protokollen als Kriminalfall deklariert, was seit Jahren in dieser sogenannten Zeitung stattfindet, nämlich eine steuerfinanzierte Regierungsverherrlichung, ein Umstand, der, wie schon erwähnt, die längste Zeit über dermaßen offensichtlich war, dass es nur als verwunderlich bezeichnet werden kann, dass die Gesetzeshüter:innen erst jetzt bemerkt haben, dass hier korrupte Vorgehensweisen angewendet wurden. Aber vielleicht waren die Justizkräfte ja bis vor kurzem der Meinung, dass eine Zeitung, die so heißt wie das Land, für das sie tätig sind, genauso zu dem Land dazugehört wie die korrupten Vorgänge, die hinter der Berichterstattung in dieser Zeitung stehen und deshalb haben sie sich nichts Ungewöhnliches dabei gedacht. In Österreich, namensgleich mit gegenständlichem Revolverblatt, war es nämlich seit jeher so, dass eine Hand die andere gewaschen hat, weshalb alle Beteiligten das Gefühl haben konnten, ihre Hände wären tatsächlich sauber. Ein traditionelles österreichisches Dreckunterdrückungssystem, das übrigens großflächig nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zum Nachteil all derer, die davon ausgeschlossen waren, konsequent praktiziert wurde.

 

Für immer Untertan

Der Kanzler und die Leute, die für ihn die schmutzige Arbeit machen, halten ständig ihre Mobiltelefone in der Hand, um den Kontakt zu Österreich in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen zu halten (Kurz selbst weiß laut ihm selbst nichts von dem Dreck und die Zeitung, in die er so viel investiert hat, schreibt zu den Vorwürfen in Großbuchstaben: „Alles konstruiert“).Nachdem die in ihre Mobiltelefone eingetippten Texte nun von der Justiz publik gemacht wurden, können wir jetzt endlich lesen, wie die Beeinflussung der Zeitung durch ihre Regierung formuliert worden war, nämlich zum Beispiel so (in dem Fall war nicht wunschgemäß geschrieben worden): „Liebe Fellners, ausgemacht war: Ihr schreibt über Wirtschaftskompetenz und Schuldenabbau. … Erschienen ist jedoch eine private Story … Das ist eine Frechheit und nicht vertrauensbildend. Wir sind echt sauer. Mega sauer.“
So kommunizierte die rechte Hand des Kanzlers mit dessen altem Alter Ego und das alles im Namen Österreichs. Der derart gescholtene Zeitungshersteller entschuldigte sich untertänigst und setzte anderntags unverzüglich die huldvolle Berichterstattung fort. Wahrscheinlich handelt es sich hier um Spuren einer kaiserlich-königlichen Untertanentradition, die sich in Österreich über Jahrhunderte unter der Herrschaft des habsburgerischen Hofstaates eingebürgert hatte und deren vorrangigstes Interesse es war, dem Kaiserhaus wohlgefällig zu sein. Um die gestrengen Regeln des Untertanentums aufzuweichen, wurde in Österreich eine Spezialform der Korruption entwickelt, die sich hinter dem charmanten Begriff Schlawinertum verbirgt. Bedeutet: nur als kleine ehrliche Gangster*innen konnten die Untertan*innen ihr Überleben halbwegs zufriedenstellend hinbekommen. Jede Schweinerei ein Kavaliersdelikt. Noch wahrscheinlicher aber ist, dass es sich im Fall von Fellner und Kurz um nichts anderes als das simple Sich-einen-Vorteil-verschaffen handelt, das wir hier an jeder Straßenecke beobachten können, wenn wieder mal jemand wie ich unauffällig in den prall gefüllten Plastikbehälter greift, um sich das neueste Kanzlerverherrlichungsschundblättchen herauszuziehen und sich beim Durchblättern denkt: Österreich, das ist Trash.
Um die letzten Entwicklungen in Korruptösterreich noch zu erwähnen: 1. Der priesterhafte Konservativenführer Kurz ist wegen der überhandnehmenden Vorwürfe gegen ihn als Kanzler zurückgetreten, voraussichtlich aber nur vorübergehend 2. Österreich klagt Österreich, also die Zeitung die Republik, weil die Republik in Gestalt der Staatsanwaltschaft sich erlaubt hat, wegen Korruptionsverdacht Untersuchungen gegen die Zeitung zu starten. Welches Österreich wird gewinnen? Kann gut sein, dass es einen typisch österreichischen Vergleich geben wird.