Die Geschichte von Tom und seiner Familie und wie sie sich ungefähr abgespielt hat
von Markus Binder
Wenn ich nicht der Tom wäre, wäre ich aber dann doch lieber der Tom. Das Haus, das hat mir immer gefallen, es war gemütlich, nicht glamourös, sondern einfach, aber dadurch ist es auch einfacher gewesen. Weg wollten wir nicht. Für mich ist offen, was kommt, nicht egal, offen. Meine Familie ist leiwand, ich mag sie, ich bin gern bei ihnen. Zu tun habe ich sowieso immer was. Wir basteln am Auto herum, an der Stereoanlage oder an sonstwas. Mit Emra, der mein bester Freund ist, ziehen wir oft am Abend los und dann lassen ihn die in die meisten Discos nicht hinein, weil er Türke ist. Und dann hörst du diese Typen über Türken schimpfen und über die Türkei und Ausländer und so und wie sollen sich Türken und andere Ausländer wohlfühlen, wenn sie nicht hineingelassen und beschimpft werden, nur weil sie Türken und andere Ausländer sind, wie soll da was Gescheites herauskommen. So nicht. Die sollen lieber türkisch lernen. Vor dem Haus, da stapeln sich die Reifen, da hängt die Wäsche, da laufen die Hühner, die Katzen und der Hund herum. Der Platz um unser Haus, das ist wie ein Spielplatz, da ist alles möglich, zu machen, das ist woanders weit nicht so. Das erste Mal, dass ich länger weg war, das war, als ich in die Berufschule gekommen bin und dann eben das Heer. Sonst bin ich zu keinem Verein gegangen, das hat mich nicht gereizt, musste echt nicht sein. Und das Hackeln am Bau, das macht mir Spass, das passt schon.
Wenn die Sonne scheint aufs Haus, wenn es warm ist, dann ist es drinnen super und draussen sowieso. Nicht dass wir nicht gern drinnen wären, drinnen im Haus haben wir alles, was wir im Haus brauchen, da können wir alles machen. „Kannst du mal das Baby holen?“ „Nein, geht jetzt nicht, Emra ist da, wir müssen nachsehen wegen dem Auto, aber ich geh schon, geht schon.“ Die Vorhänge, die Uhr, das Ofenrohr, der Herd, die Tschick, die Sachen, die Wäsche, der Himmel, wenn er so aussieht wie jetzt, der Bub lässt öfter mal was liegen, aber so findet sich dann auch alles, alles da, alles, womit wir auskommen, wir kommen zurecht. „Mach nicht wieder einen Lärm, wenn du spät nach Hause kommst, du wirst noch das Baby aufwecken.“ „Ja, ok.“ Im Winter müssen wir schon immer fest heizen, aber Holz ist genug da, das Scheidlkliam macht mir Spass, obwohl: Mehr Spass würde es schon machen, wenn sich das Holz von selber zerteilen würde, aber: Der Baum fällt auch nicht von selber um, geht nicht von selbst das Ganze, geht nicht anders. „Stell den Fernseher ein bissl leiser, ich muss das Baby niederlegen“. Das Fernsehen, das lenkt ab, sie bringen ja immer was anderes, die neuen Serien, leider ist es dann oft schon so spät, da freut es mich nicht mehr, da schlafe ich dann ein. Im Sommer, wenn wir draussen sitzen, da vergessen wir ganz aufs Fernsehen, ist auch egal, es geht einem nicht ab, ausserdem ist dann sowieso immer was zu tun, bei so einem Haus, da kommt immer was daher. Tom passt auf, auf sich. Wenn er mit seinem Bodybuildingapparat beschäftigt ist, da kennt er nichts. „Komm Tom, fahren wir!“ Die Burschen steigen ins Auto und verschwinden in die Nacht. Im Haus die Figuren. Josef hält das Kind im Arm, der heilige Josef, und drüben hängt das Bild, wo der Josef mit der Säge einen Balken auseinandersägt und der Jesus, der kleine, der hilft ihm. Bei denen hat sich das Holz auch nicht von selber zerkleinert, bei der heiligen Familie, und ob der Jesus jetzt der Sohn vom Josef ist, angeblich ja nicht, angeblich war da ja eine unbefleckte Empfängnis, laut Legende. Die Heiligenbilder sind hübsch, von der Mutter Maria ist auch eines da, da haben wir unten die Babyfotos draufgesteckt, das passt, die Maria passt auf den kleinen Martin auf. Was wirklich ein wenig Sonne in die Stube bringt, das ist das Orange in der Küche. Sicher ist Orange in der Küche manchmal für jemand etwas viel an Farbe, aber es bringt Helligkeit, das ist angenehm. Tom wieder: Ich mache halt ein bisschen was für meine Muskeln, das hält mich fit und dann beim Auto und wenn was anfällt. Aber jetzt muss ich dann sowieso zum Heer, da bin ich dann nur mehr am Wochenende da und da gehen wir dann auch mehr fort als dass wir daheim sind. Schätze ich mal. Wenn ich selber ein Haus hätte, würde ich mir das wahrscheinlich schon anders herrichten, aber weiss ich auch jetzt nicht wie, also es ist schon immer ganz gemütlich so. Es ist viel Platz rundherum und wenn meine Freunde kommen und sich in der Küche alles zusammendrängt und getratscht wird, das ist schon immer lustig. Die Militäruniform ziehe ich sonst gleich aus, aber jetzt hab ich sie angelassen, auch als Scherz irgendwie. Das Bild vom Opa in der Wehrmachtsuniform und da ist ja auch noch ein kleines Hakenkreuz dran, wenn du genau hinschaust, da ist mir dann ein cooler Sweater echt lieber. Der Opa, das war der erste Mann von der Mutter meiner Mutter. Die Marienbilder und das Kruzifix und die ganzen Sachen, ich hab das schon so oft gesehen, die sind schon lange da. Lange. Und was echt super ist, wenn es nach dem Essen duftet, wenn das brutzelt und prasselt und wenn ich ein bisschen mit dem Baby, dem Martin, spiele. Die Katzen laufen bei der Tür hinein und hinaus. Auf dem Küchentisch ein Wetexfetzen, eine leere 2-Liter-Pet-Cola-Flasche, eine halbleere 2-Liter-Pet-Fanta-Flasche, drei Packerl Memphis, ein Packerl Marlboro mit einem Feuerzeug drauf, ein Aschenbecher mit vier Tschickstummeln drinnen, ein halber Mohnkuchen in aufgebrochenem Cellophan, ein Messer mit schwarzem Plastikgriff, ein Seidlglas mit etwas Saft drinnen, ein gelbes Stanleymesser, ein deppada Werbeprospekt, ein leeres Glas, zwei leere Häferl. In der würfelförmigen Nische in der Wand ein Bildnis der Gottesmutter Maria, ein Porzellanengel, der heilige Josef mit dem Kind, noch ein kleiner Heiliger, ein Stapel gelbe Servietten, auf dem ein Kugelschreiber liegt und ein Schraubenzieher, daneben ein Teller. Auf dem liegt ein Messer. Vorne ist noch so ein Art Kalender, aus Holz und an der Seite, in der Wand, da ist eine Steckdose, da könnte das alles schön zum Leuchten anfangen, wenn es mit Strom ginge. Das Glück ist ein Vogerl. Wir wissen das. Nicht, dass wir wüssten, wie das geht mit dem Glück, das muss schon jeder für sich selbst wissen, aber ob das mit dem Glück etwas ist, das sich planen lässt, das glaube ich nicht. Natürlich überlege ich manchmal, Lottogewinn, was könnten wir nicht alles machen mit so viel Geld, ein neues Haus, Auto, Sachen, Reisen, aber was, von dem träumen ja eh alle, das bringt nichts und dann schaun wir uns trotzdem immer am Sonntag die Lottoziehung an, du weisst ja nie, was kommt und so ein bisschen Hoffnung haben wir alle. Das ist ein Bild von meiner Schwester und mir, da sehen wir lieb aus. Na und ich kenn schon die Blicke, wenn bei uns wieder so fesche, sportliche Radfahrer vorbeiradeln und dann ganz neugierig herschaun zu unserem Haus, als ob wir eine Touristenattraktion wären. Das sieht nicht so aus hier wie ein Einfamilienhaus, wie sie sich das alle bauen mit Schulden und Kredit und Sorgen, das wäre nichts für uns, auch wenn es oft mühselig wird, mit dem Kochen, dem Waschen, dem Wäscheaufhängen, dem Putzen, dem Baby. Aber da hilft er wirklich brav mit, der Peter, mein Mann. Er macht öfter das Flascherl und es sieht wirklich lustig aus, wenn er kostet, ob es nicht zu heiss ist. Der mit so einem kleinen Flascherl. Er ist ja nicht der Vater vom Tom, aber wir kommen gut zusammen alle und mit dem Baby, das geht und er kümmert sich um viele Kleinigkeiten, die bei so einem Haus daherkommen, das Holz macht er, holt die Eier herunter von den Hühnern und so weiter und so fort. Na und mein Laster, das sind die Memphis Tennessee. Weil Memphis liegt ja in Tennessee und drum sage ich zum Scherz oft: Memphis Tennessee. Da gibts ja auch ein Lied davon. Na jedenfalls, die Tschick, das ist schon was, was ich so zwischendurch immer gern geniesse ein wenig, bei der Wäsche und dazwischen eine Tschick, das Baby hinlegen und dann eine Tschick, Aufräumen und wieder eine. Aber die Tschick und das Rundherum alles erledigen, das hat so einen eigenen Rhythmus schon für mich, das gehört zu mir, das passt schon.
Als der Fotograf an einem Wintertag wieder zum Haus kommt ist es leer. Alle weg. Am Boden liegt Zeug: das Ofenrohr, eine Plastiktüte, eine Bürste, Kinderspielzeug, eine Giesskanne, 2 Tonkrüge stehen am Ofen, das gelbe Stanleymesser, eine Red Bull-Dose, im anderen Raum viele davon, mit leeren Red Bull-Dosen fährt die Formel 1, die Familie ist weg. Der Fotograf macht sich auf den Weg, sie zu suchen. Der Schneepflug hat den vielen Schnee an den Rand der Fahrbahn geschoben. Der Stausee, wo sich im Sommer die Bungee-Jumper die Staumauer hinunterstürzen, ist zugefroren, die Strassenschilder sehen aus, als würde sich keiner dafür interessieren, was draufsteht. Der Schnee ist die Hauptinformation. Die Strasse ist gesalzen, es ist ihnen heuer sogar schon mal das Salz zum Streuen der Strassen ausgegangen, so viel Schnee war. Die Mittelstreifen sind weiss wie Schnee, die Landschaft eine sogenannte Winterlandschaft, postkartenmotivmässig. In der Wohnung unter dem Dach wohnen sie jetzt. Als erstes wurde der Herrgottswinkel eingerichtet. Am Tisch liegt neben dem Babyflascherl ein Memphispackerl. Die Wände sind weiss und kahl. Der Christbaum ist mit bunten Kugeln geschmückt, der Boden mit einem PVC-Belag überzogen. Zu Silvester lässt Tom die Kracher krachen. Nach vier Monaten in diesem kahlen Haus mussten sie wieder ausziehen, sie waren zu laut gewesen, hiess es. Jetzt dann wieder in Schlierbach, in einem anderen Haus, da gibt es Zentralheizung, da wohnt auch noch eine andere Partei. Die Küche, die orange, ist wieder mit von der Partie, inklusive Herrgottswinkel, die Uhr vom früheren Haus auch, draussen Stangen zum Wäscheaufhängen, Kinderspieleinrichtungen, Rasen, der Boden drinnen ist aus Kork, saubere Sache. Der Vater hält das Baby im Arm, Tom legt seinen Kopf zwischen Vaters und Babys Brust. Im alten Haus liegen noch immer die Sachen am Boden, eine Batterie, ein Kondom, eine Plastiktube mit einem Rest irgendeiner Creme, Holzspreissel. Das Dach ist schon weg. Der Kamin bleibt noch aufrecht. Das Klosett liegt am Boden draussen, rund ums Haus die Dachziegel.
„In Summe das Beste“ steht auf dem Schild, das auf dem Rohbau befestigt ist, der jetzt an der Stelle des Hauses steht. Es wird ein Wimberger-Haus, fertig, aber Ziegel. Für wen die Summe. Für wen das Beste.
Markus Binder
Texter und Schlagzeuger des Elektro-Punk-Slang-Groove Duos Attwenger.
2005 erschien im Berliner Verbrecher Verlag sein Buch „Testsiegerstrasse“.