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Die Grandezza des Banalen
Der Schlagzeuger und Textautor von Attwenger legt mit „Teilzeitrevue“ einen wunderbar assoziativen, zwischen Clubs und Freibad mäandernden Roman vor. Ein Gespräch über das Verschauen, Verlesen – und „Der weiße Hai“
STANDARD: Herr Binder, was ist passiert? Sie verwenden in „Teilzeitrevue“ das erste Mal in Ihrer künstlerischen Arbeit sowohl Satzzeichen als auch Groß- und Kleinschreibung. Altersmilde?
Binder: Bei meinem letzten Buch Testsiegerstraße fand ich das Lesen der Kleinschreibung ohne Interpunktionen im Nachhinein selbst etwas anstrengend. Der herkömmliche Schriftgebrauch strukturiert die Sache einfach besser, macht sie klarer. Es sollte aber keinesfalls zu einer Milde führen.
STANDARD: Zwischen „Testsiegerstraße“ und „Teilzeitrevue“ herrscht ja mit zwölf Jahren ein gewisser Abstand. Muss der Dichter warten, bis es ihn überkommt, oder muss er sich konzentriert hinsetzen und eine Bürosituation simulieren?
Binder: Schon. 2005 hat es für Testsiegerstraße ein gutes Feedback gegeben, und ich dachte mir damals: Jetzt machst du wieder ein Buch. Ich hab dann auch damit angefangen. Wir haben im selben Jahr mit Attwenger in Mexiko gespielt und Geschichten, die dort spielen, sind nun auch in Teilzeitrevue enthalten. Ich hatte eigentlich im Plan, dass die Produktion drei, vier Jahre dauert. Jetzt sind es zwölf geworden. Ich denke mir: Das ist eigentlich auch egal. Ich hätte dazwischen sowieso kein anderes Buch herausgebracht und hatte keinen Stress wegen irgendwas anderem. Man kann ja auch Sachen zwischendurch einmal ein, zwei Jahre liegenlassen. Natürlich hat es auch deshalb länger gedauert, weil ich mir überlegt habe, in welche Form ich das Buch überhaupt bringen will. Der Plot ist ja schlank. Ein Paar bewegt sich durch die Welt. Es fliegt von Mexiko nach Europa, erlebt Dinge und so weiter. Eingedenk dieses Handlungsbogens habe ich immer wieder Texte geschrieben. Dann ist das Problem aufgetaucht, wie ich das arrangieren oder auffädeln soll. Man muss dem Ganzen ja einen gewissen Flow geben. Der wird aber – und das ist ganz wichtig – ständig abgelenkt. Es gibt Abzweigungsangebote, die teilweise genutzt werden.
STANDARD: Kann man „Teilzeitrevue“ vom doch sehr musikalischen und rhythmischen Aufbau her auch als literarisches DJ-Set lesen?
Binder: Im Kapitel Clubs gibt es den imaginären Song They always change the style. DJs können am Computer Cuts und Beats und unterschiedliche Stile sehr kurz hintereinander setzen. Das war schon auch die Idee hinter dem Buch, auch jene, dass nicht immer alles harmonisch verläuft und es zwischendurch einmal einen Crash gibt. Im Grunde ist das Buch ein Mixtape.
STANDARD: Im Buch gibt es zwei Protagonisten, die aber nicht näher definiert werden.
Binder: Er hatte braune Haare, sie hieß Lisa, sie gingen aus dem Haus. Nein, nein! Der Blick wandert ja auch ständig zwischen verschiedenen, nicht näher präzisierten Positionen hin und her. Identitäten können sich auch variabel verhalten, genau so wie die Zeitebene. Teilweise spielt das Buch in der Zukunft, es gibt Szenen, die technisch leicht futuristisch sind. Charakterlichkeiten sollen sich auflösen.
STANDARD: Der Roman als ein filmischer Blick mit Kamerapositionen, bei denen man immer raten muss, wer gerade hinter der Kamera steht?
Binder: In einem Traum kann man sich ja auch selber sehen. Es handelt sich um eine virtuelle Realität, die dargestellt wird. Die ist aber echt. Die Betonung des Virtuellen im Realen.
STANDARD: Ich flaniere mit dem Blick und fokussiere kurz, schaue zu dem Glatzerten da hinter der Glasscheibe im Café, der interessiert mich aber sehr schnell nicht mehr, deshalb schaue ich wieder auf Sie …
Binder: Genau. Und der Blick geht weiter, weiter und weiter. In den Blick des anderen hineinschlüpfen zu können, das wäre ja ein interessanter soziologischer Vorgang. Walk a mile in my shoes. Wer kann schon das sehen, was ein anderer sieht?
STANDARD: Nach der Lektüre fühlt man sich dank eines mediengeschulten Blicks gut informiert. Eine Geschichte wird im Wesentlichen aber nicht erzählt. Abgesehen davon, dass es keinen Anfang und kein Ende gibt, bleiben sozusagen viele Fragen offen.
Binder: Das ist so wie im Film Der weiße Hai – aber ohne Hai. Aber ernsthaft: Eine Handlung sollte nicht die Sprache beeinträchtigen. Es geht um Nuancen. Die Leute im Roman verlesen sich ständig, sie verschauen sich. Das bedeutet dann natürlich: Genau hinschauen, zweimal hinschauen. Wenn man aber auf ein Ding zweimal hinschaut, sieht man zweimal ein verschiedenes Ding.
STANDARD: Funktioniert das Buch nicht einfach auch als radikale Innensicht? Die Protagonisten befinden sich zum Beispiel in Mexiko und fahren eventuell durch die Pampa. Sie denken sich aber nicht „Oh, wie schön ist es hier, und der Berg links vorn heißt soundso“, sondern: „Maria und Josef, habe ich daheim in Wien den Strom abgedreht?!“
Binder: Diese Form realistischer Arbeit des Gehirns ist Programm. Sagen wir so: Es ist die Grandezza des Banalen. Man kann sich auch in sehr einfachen Dingen verlieren. Den Humor darf man natürlich nicht außer Acht lassen. Die politischen und ökonomischen Zusammenhänge interessieren mich auf Reisen aber schon auch sehr: Wo komme ich her – und warum ist die politische Situation im Reiseland eine ganz andere? Und wie hängt das zusammen?
STANDARD: Wie verhält es sich im Roman mit dem ständigen Moment der Bewegung. Ist Bewegung für Sie immer auch Denken?
Binder: Na ja, das sollte sowieso so sein, dass das Denken immer beweglich bleibt. Diesen Zustand wollen wir schon gern aufrechterhalten. Ich bin rein jobmäßig viel auf Reisen und genieße das. Ich liebe Flughäfen. Unterschiedliche Menschen kommen von da und da und gehen woandershin. Das finde ich inspirierend. Ein weiteres Lied im Roman geht so: „Das es so ist und nicht anders ist, wer hat das denn bestimmt?!“ Flanieren ist ein Lieblingswort, es ist ein Luxus. Ich versuche, mir das zu gönnen und nicht immer nur von A nach B zu gehen. Das Gewohnheitstier gehört immer wieder aus dem Käfig gejagt.
Interview: Christian Schachinger