NATÜRLICH IST GAR NICHTS
Markus Binder von Attwenger sammelt in „Teilzeitrevue“ Gegenwartssplitter
Irgendein Mexikaner sinniert über die deutsche Sprache: „In dieser Sprache können sie nur schlechte Witze machen. In dieser Sprache können sie das Leben nur als Analyse oder Kampf beschreiben. Es wäre aussichtslos, dieser Sprache einen Flow beibringen zu wollen. Diese Sprache ist genauso blass wie die Leute, von denen sie gesprochen wird.“
Markus Binder musiziert und singt in dieser käsigen, doch harten Sprache seit 1991. Gemeinsam mit Hans-Peter Falkner (Akkordeon) arbeitet Binder als Schlagzeuger und Textautor des oberösterreichischen Slangpunkduos Attwenger („kaklakariada“). Den ersten literarischen Seitensprung unternahm der 1963 in Enns Gebürtige 2005 mit dem Buch „Testsiegerstraße“. Stilistisch nah dran und wiederum im Berliner „Verbrecher Verlag“ ist nun Binders „Teilzeitrevue“ erschienen. Fünf Kapitel, ein Er und eine Sie reisen, Lateinamerika, fliegen heim. Suchen Musikclubs auf, spazieren und beobachten, Innenleben und seltsamer Alltag und Sex, gehen nach draußen. Kein Roman, mehr ein Mixtape. Eine Musikkassette, auf der unsereins, heute mittelalte Menschen, früher Songs aus dem Radio aufgenommen hat. Binders „Songs“ sind Gedankensplitter, kurze Geschichten, Wahrnehmungsprotokolle, Reflexionen über Unterhaltungskunst: „Im Entertainment kommt immer wieder der Satz: Bleib natürlich. Bleib natürlich? Nein! Hat kein Mensch gemacht. Stattdessen gab es Phantasie und Romantik, Orte, an die man flüchten konnte. Nichts war echt, alles war unecht.“
Er und sie lassen die Gedanken fließen, erfinden Songtexte oder kreative Namen für Musikbands, die ab sofort real sind, weil sie im Buch stehen. „Zwangsversteigerte Doppelhaushälften“, „Pflaumenkuchen mit Vogelgrippe“, „Nächste Band“, „Sharon Stoned“ oder „Modern Stalking“. Exzellenter Albumtitel: „Jung, gecastet und erfolglos“. Der Restmasse deutsche Sprache ringt Binder Sätze ab, zu denen der Leser wiederholt Hurra! rufen möchte. Lakonisch, witzig, melancholisch, präzise oder bewusst eine Unschärfe in Kauf genommen. Unkonzentriert gelesene Botschaften und Reklame, das Unbewusste ein freches Teufelchen: „Künstlich willkommen“, „Dirty Free Shop“. Ernsthafteres über das Zusammenwachsen von Technoidem und organischem Leben, über Profit und Gier, Globalisierung und glorreiche westliche Zivilisation, die seit 500 Jahren eine Blutspur hinter sich herzieht.
Miefende Reste des Patriarchats im 21. Jahrhundert, smarte Schmähung eines Übeltäters: „Ein Mann zu einer Frau ganz wichtig irgendetwas über Mobiltelefontarife, ausführlich, langwierig, wichtig und laut. Der Blick der Frau: Interessiert mich überhaupt nicht. Mit drei Ü.“
Von Christian Pichler — 20. April 2017