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Lässig, wenn sich ein Umweg ergibt
Markus Binder von Attwenger legt seinen Hybridroman „Teilzeitrevue“ vor. Eine Begegnung.
Als die eine Hälfte der heimischen Zweimannband Attwenger nimmt Markus Binder die ungewöhnliche Rolle des Schlagzeugers ein, der Songtexte schreibt und diese auch singt – was eine gewisse Wortaffinität also bereits impliziert. Konsequenterweise hat der Mann 2005 über den Berliner Verbrecher Verlag mit „Testsiegerstraße“ seine literarische Erstveröffentlichung vorgelegt, der nun („Es hat dann doch etwas länger gedauert“) ein „Hybridroman“ namens „Teilzeitrevue“ folgt. Markus Binder zur „Wiener Zeitung“: „Der Begriff stammt von meinem Verleger Jörg Sundermeier. Das Klassische interessiert mich selbst ja nicht so. Sehr wohl aber die Neudefinition dessen, was ein Roman sein kann. ‚Teilzeitrevue‘ ist ein zersplitterter Text, der auch schon als Mixtape bezeichnet wurde – womit ich gut leben kann.“
Inhaltlich folgt „Teilzeitrevue“ zwar einem Paar, das sich nach einem Langstreckenflug durch die städtischen Clubs treiben lässt. Vor allem geht es in kurzen Textsequenzen aber erfrischend um das Beobachten und das Betrachten. Wer etwas betrachtet, sich also seine Gedanken darüber macht, gilt gemeinhin als klug. Wer beobachtet, ist hingegen bald einmal suspekt. Binder: „Das finde ich schön beschrieben. Wobei mir im Text wichtig war, dass die Beobachtung oft eine Täuschung ist und eine Fälschung. Der französische Lyriker und Philosoph Paul Valéry hat geschrieben, dass, wenn man an sein Leben zurückdenkt, es sich nur über Fälschungen präzisiert. Wir sind sehr selektiv darin, woran wir uns erinnern – und wie. In unserer subjektiven Art, in der wir durch die Welt spazieren, nehmen wir die Welt auch subjektiv wahr. Mit dem spielt das Buch auch: Schreiben ist lügen, weil es nur dieser beschränkte Ausschnitt eines Einzelnen ist. Interessant ist diesbezüglich der Begriff ‚Fake News‘, bei dem ich mir immer denke: Gibt es andere auch? Das aber aus sprachphilosophischer Sicht. Die Lügenpresse-Vorwürfe aus dem rechtsextremen Eck sind natürlich nur traurig.“
Die Protagonisten flanieren, die Gedanken schweifen. Der Blick wandert, der Fokus auch. „Das Buch ist ein ständiges Abgelenktwerden, was gut zu meinem Alltag passt, in dem ich es schätze, wenn Freiräume entstehen. Meistens gehst du ja irgendwo in einer Absicht hin. Aber es ist lässig, wenn sich ein interessanter Umweg ergibt.“
Für das Schweifen der Gedanken braucht man Zeit. Zeit, die wir längst nicht mehr haben. Ein Schwerpunkt von „Teilzeitrevue“: das kapitalistische Gezwungensein zur Rastlosigkeit – und wie erschöpft wir davon sind. Der Autor: „Es ist wie der Song von Ton Steine Scherben: Macht kaputt, was euch kaputtmacht! Heute heißt es allerdings: Macht euch kaputt, bis es der Firma gut geht. Selbst in Kreativkreisen wird mittlerweile alles auf Leistung und ökonomische Aspekte ausgerichtet, dass es schon peinlich ist. Die Gentrifizierung ist nicht nur in den urbanen Räumen erkennbar, sondern auch in Szenen, die sich als ‚indie‘ bezeichnen. Und das Seltsame daran: Allen geht es am Arsch, aber alle machen mit.“
Dass die begleitende digitale EP „Teilzeitrevuesongs“ (Trikont) durch verschiedene Genres springt, scheint angesichts der Erzählweise stimmig. Und schon das bisher letzte Attwenger-Album „Spot“ versammelte Jingles und Songminiaturen. Ist die kurze Form für Binder heute wichtiger als die große Narration? „Schon. Und dann soll die Sprache nicht zu sehr durch Handlung eingeschränkt werden. Ich hoffe, man merkt dem Buch an, wie viel Spaß es mir macht, mich mit Sprache zu spielen.“
Musik und Rhythmus sind in „Teilzeitrevue“ nicht nur mit eingestreuten Songtexten präsent. Der Eindruck entsteht, dass hier auch der Drummer aus dem Autor schreibt. Markus Binder: „Für mich war die Schwierigkeit die, 500 bis 600 Einzeltexte, die alle in der gemeinsamen inhaltlichen Absicht verfasst wurden, zu vereinen, dabei auch abschweifen zu dürfen und das Ganze in einen Rhythmus zu bekommen. Wie entsteht ein Kontext, der einen Flow hat, crashende Elemente aber auch zulässt?“
Schweifen wir jetzt aber etwas ab. Ernst Jandl fühlte sich einst von Attwenger zu seinem Buch „stanzen“ und somit zu einer seiner produktivsten Schaffensphasen inspiriert. „Das ist natürlich ein ziemliches Kompliment und sehr lobenswert vom Herrn Jandl! Nur als er meinte, es wäre toll, gemeinsam aufzutreten, war ich nicht so überzeugt. Jandl stand damals ja gerne mit so Jazzbands auf der Bühne. Ich habe ihm 1992 vorgeschlagen, sich ein Konzert von uns anzuschauen. Danach hat er mich verstanden. Attwenger, das ist halt schon eine sehr rockende Geschichte!“
Wie es Binder, den Oberösterreicher mit Gstanzl-Hintergrund, ausgerechnet zu einem Berliner Verlag verschlagen hat, wäre jetzt noch zu klären. „Bei einer Lesung von Max Müller von der Band Mutter habe ich in der Linzer Kapu ihn und seinen Verleger Jörg Sundermeier kennengelernt. Daraus ergab sich das. Der Verbrecher Verlag hat tolle Veröffentlichungen, außerdem mag ich die klaren Designs – und der Verlag ist wie ich. Er schweift ständig ab!“
Von Andreas Rauschal, TEILZEITREVUE Review WIENER ZEITUNG 17.2.2017