WOMIT WIR RECHNEN MÜSSEN

Verfasst für die Radiosendung Zündfunk auf Bayern 2 im Rahmen der Reihe „Fernschreiber“
18.12.2009

 

Erstens:
Mit Verarmung. Wenn alle Staaten pleite sind, wenn die Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden können, wenn wir alle arbeitslos sind, erschöpft, ausgelaugt, ausgebrannt, wie das Wort burn out es uns seit längerem voraussagt, wenn die Autos nicht mehr fahren, wenn wir leben ohne Waren, dann ist Verarmung. Zumindest wird die Verarmung als next big thing schon länger angekündigt und wir werden ja sehen, wann es endlich so weit sein wird. Wir müssen es nur abwarten können. Wir dürfen nicht ungeduldig sein. Der Zeitpunkt wird kommen. Und alles wird billiger werden. Vielleicht sogar gratis. Geschenkt. Ganz ruhig. Einfach abwarten.

Zweitens:
Womit wir auch zu rechnen haben, wenn wir dem Gebrüll der Mediengorillas und den Experten dieser Welt Glauben schenken: Mit dem fortgesetzten Ansteigen von allem, was es gibt.
Die Temperaturen werden weiter ansteigen, genauso der Meeresspiegel, die Staatsschulden und die Weltbevölkerung, die Benzinpreise und die Anzahl der Fernsehkanäle, die Vulkansausbrüche und die Amokläufe, die breaking News und die Angst vor allen diesen Sachen. Oder ist das mit der Angst doch eher eine persönliche Angelegenheit und der Boulevard, die alte Dreckschleuder, der Boulevard, der unsere innersten Befindlichkeiten längst vorausgesehen hat, propagiert die treffende Schlagzeile: Wir sind Angst. Mit Einschüchterung im großen Stil ist zu rechnen. Aber wie auch immer.
Alles ist angestiegen. In den letzten zwei Jahrzehnten explosionsartig. Und jetzt ist der Anstieg aber schon beschwerlich geworden, die höchsten Berge sind längst bestiegen, und trotzdem hat es immer geheißen, wenn es jemand gut mit einem gemeint hat: es wird schon bergauf gehen. Und dabei ist doch das Bergauf gehen und noch viel mehr das Bergaufrollen eines Steines oder eines Autos um ein Vielfaches mühsamer als das Bergabrollen. Bergab geht doch alles gleich viel leichter. Wozu sich die Mühe geben und sich ruinieren mit diesem unsinnigen Bergauf. Es wird Zeit, dass es wieder bergab geht, es wird Zeit, dass sich die Ausgebrannten wieder mal auf ein Gefährt setzen können, das der Schwerkraft folgend ganz mühelos nach unten rollt oder grob gesagt: Es wird Zeit für die große Entspannung.

Drittens:
Womit wir sicher rechnen müssen ist, dass die Welt nicht untergehen wird. Pech für diejenigen, die schon länger darauf warten. Das wird nichts. Überhaupt dienen diesbezügliche und andere Prophezeiungen nur der Unterhaltung. Das einzige, das wirklich sicher eintreten wird, ist das Fernsehprogramm für die nächsten zwei Wochen.

Viertens:
Womit wir offensichtlich auch noch rechnen müssen: Dass wir älter werden. Viel älter, nämlich so alt, dass wir gezwungen sind, uns zu überlegen: Was machen wir mit der vielen Zeit, die uns bleibt. So viel Zeit und gleichzeitig dieses intensive Gefühl des Zeitmangels. Komisch.
Mit dem Älterwerden müssen wir aber auch damit rechnen, dass die Verluste zunehmen. Sowohl die Verluste manch eigener Möglichkeiten als auch die Verluste von geliebten Menschen.

Und schließlich, fünftens:
Müssen wir sowieso ständig damit rechnen, dass von einer Sekunde auf die andere alles vorbei sein kann. Huuit. Vorbei. Du kannst dein Leben schnell verliern, so schnell wie einen Regenschirm.